Was hat Haltung mit Wissenschaft und Humor zu tun? Und kann sie sich auf ein Publikum übertragen? Das habe ich Vince Ebert gefragt. Der diplomierte Physiker hat nicht nur die bayerische Beachvolleyballmeisterschaft als Sieger zu Weltruhm gebracht und als Consultant und Strategischer Planer in internationalen Werbeagenturen sein komödiantisches Talent im Rahmen von Präsentationen entdeckt, er kommt auch aus dem Odenwald. Vielleicht ist er gerade deshalb ein ausgesprochen entspannter und unprätentiöser Gesprächspartner. Mich interessierte dabei die Verbindung aus wissenschaftlicher Denke und humoristischem Auftritt. Die Schnittmenge unserer Arbeitswelten brachte Vince Ebert dabei gleich zu Beginn auf den Punkt: Branding ist ja stark verwandt mit dem Thema Authentizität. Wer authentisch ist und sich nicht gerade wie ein Vollidiot benimmt, der kommt irgendwie gut rüber. Im Gegenzug erkennen viele Menschen, wenn etwas gesagt wird, nur um Impact zu erzielen.
In Bezug auf die Bühnenpräsenz stellt sich für den Comedian immer wieder die Frage Wer bin ich? Was ist meine Haltung zu den Themen? Welches Bild will ich vermitteln? Und wie authentisch bin ich denn wirklich? Doch fangen wir ganz zu Anfang an:
Sie sind Naturwissenschaftler. Für diejenigen, die sich das nicht wirklich erklären können: Was ist eigentlich das Schöne an den Naturwissenschaften?
Das Schöne und das Fürchterliche zugleich ist, dass die Naturwissenschaften eine Methodik darstellen. Es geht gar nicht so sehr um Formeln oder Gleichungen, sondern es handelt sich um eine Methode, herauszufinden, wie die Welt funktioniert. Man stellt eine Hypothese auf, führt anschließend ein Experiment durch und überprüft schließlich die Ergebnisse. Und dann ist die Hypothese entweder bestätigt, oder man muss sie verwerfen. Das ist nach wie vor das Charmante an der Wissenschaft, die es übrigens in dieser Forme erst seit 300 Jahren gibt. Die alten Griechen haben eigentlich keine Wissenschaft betrieben, die haben Behauptungen aufgestellt, ohne sie zu überprüfen. Da gab es keine Doppelblindstudien und keine Falsifizierung. Die eigenen Behauptungen methodisch zu überprüfen, brachte uns viel Erkenntnis darüber, wie die Welt funktioniert. Das ist das Positive an der Naturwissenschaft.
Das Negative ist natürlich, dass man nie im Besitz der gesamten Wahrheit ist. Ich habe mal in meinem Programm gesagt, Die Wissenschaft irrt sich nach oben. Wir wissen heute, dass bestimmte Dinge richtig sind. Wir wissen, dass die Erde eine Kugel ist. Wir wissen ungefähr, wie groß das Universum ist. Wir wissen, dass ein Elektron negative Elementarladung hat. Und wir wissen, dass wir hundert Jahren auf jeden Fall mehr wissen. Wir werden bestimmte Teilbereiche unseres heutigen Wissens korrigieren müssen. Das ist natürlich toll, weil es Fortschritt ermöglicht. Es ist also eine sehr effektive Methode im Vergleich zu statischen Themen wie zum Beispiel die Esoterik. Was Hahnemann vor 200 Jahren über die Homöopathie gesagt hat, das sagen die Homöopathen jetzt immer noch, obwohl man mittlerweile bestimmte Dinge molekularbiologisch widerlegt hat. Auch Religionen sind in ihren Grundaussagen relativ statisch. Sie bieten keine Möglichkeit an, die Behauptungen zu überprüfen. Entweder man glaubt an Gott, oder man tut es nicht. Es gibt kein Experiment, mit dem man Gott beweisen kann.
Das Unbefriedigende an der Wissenschaft ist, dass man eingestehen muss, Stand heute ist es höchstwahrscheinlich so. Aber vielleicht gibt es in 50 Jahren eine Theorie, die das Ganze verbessert und korrigiert. Und das ist in aktuellen Debatten schwierig, weil die Menschen Sicherheit suchen, wenn Sie beispielsweise Virologen, Epidemiologen oder Klimaforscher befragen. Sie wollen wissen: Was müssen wir tun? Was ist richtig, was ist falsch? Und ein seriöser Wissenschaftler wird antworten: Wir haben da ein paar Ideen, aber es gibt auch eine große Bandbreite an Unsicherheit.
Haltung scheint sehr häufig das Erfüllungsinstrument für den Wunsch nach Orientierung zu sein, der Sehnsucht nach Gewissheit. Nun wird Wissen immer verfügbarer. Ob in Ihrem Programm oder auf oder auf Ihrem LinkedIn-Profil, überall bekomme ich kleine Wissenshäppchen. Was macht das mit unserer Haltung? Werden wir dadurch tatsächlich sicherer?
Ich glaube, es ist immer schwieriger geworden, weil die Welt immer komplexer geworden ist. Einstein konnte vor 120 Jahren mit Schulmathematik in allen großen Bereichen wie der Physik, der Quantenmechanik oder der Relativitätstheorie große Erkenntnisse erzielen. Heutzutage läuft Forschung vollkommen anders ab. Nehmen wir das Lieblingsbeispiel Klimaforschung. Es gibt unfassbar viele Klimaforscher. Dabei ist die Klimaforschung ein Bündel an unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen. Es gibt Wissenschaftler, die sich nur mit Wolkenbildung beschäftigen. Es gibt Ozeanographen, die sich nur mit der Veränderung von Temperaturen der Meere beschäftigen. Das heißt es gibt eine Vielzahl von Unterbereichen und es ist wahnsinnig schwer, eindeutig zu sagen, wie die Lage aussieht und was wir tun können. Weil natürlich viele Themen, die wir in diesem Kontext behandeln, sehr komplex sind. Wir sehen das an der Energieversorgung. Wir wollen keine Atomkraftwerke oder Kohlekraftwerke und stattdessen Wind und Sonne nutzen. Zwischenzeitlich haben wir auf Gas gesetzt, dann kommt der Ukrainekrieg und wir haben ein Gasproblem, also müssen wir die Kohlekraftwerke wieder hochfahren. In diesen Entwicklungen spielen unterschiedliche Wissensbereiche ineinander.
Ein anderes Beispiel ist die Coronakrise. Da kamen die Psychologen und haben gesagt, Unsere Kinder werden kirre. Die Ökonomen erwidern, Moment mal, ihr könnt doch keine Lockdowns machen, weil sonst die Wirtschaft gegen die Wand fährt. Sie alle hatten recht. Um letztlich eine Entscheidung treffen zu können, muss ich also abwägen, denn es gibt keine ideale Lösung. Haltung umgeht dieses Dilemma. Ich formuliere das mal böse: Mit Haltung ist mein Weltbild ein bisschen einfacher. Wenn ich sage, Ich bin gegen Kernenergie, muss ich mich mit diesem Thema nicht mehr tiefergehend beschäftigen. Egal, welche Folgen der Atomausstieg letztendlich haben wird. Ich umgehe diese komplexe Welt.
Um eine Entscheidung treffen zu können, muss ich abwägen, denn es gibt keine ideale Lösung. Haltung umgeht dieses Dilemma.
Vince Ebert im Februar 2023
Das finde ich bemerkenswert, weil es ein Paradoxon aufzeigt. Auf der einen Seite suchen wir nach Orientierung und Vereinfachung. Auf der anderen werden wir der Komplexität unserer Umwelt damit nicht gerecht?
Ja, genau. Neulich sagte mir jemand voller Stolz vor einem Interview: Herr Ebert, Sie müssen wissen, ich bin Haltungsjournalist. Er hatte die Haltung, dass wir so schnell wie möglich auf 100 % erneuerbare Energien umstellen müssen. Daraufhin habe ich ihn auf ein paar Widersprüche hingewiesen. Zum Beispiel, dass die Versorgung mit rein erneuerbaren Energien derzeit technisch und damit ökonomisch schwierig ist. Davon wollte er nichts wissen. Seine Haltung hat ihm einen Tunnelblick beschert. Und er wusste überhaupt nicht, wovon ich spreche, wenn ich diese Zielkonflikte thematisiert habe. Ich habe nicht behauptet, ich hätte die Lösung. Im Gegenteil, ich habe gesagt: Ich weiß die Lösung auch nicht. Aber so einfach, wie du dir machst, ist es nicht. Das ist auch ein Beispiel für Haltung.
Es ist interessant, wie einseitig die eigene Interpretation von Haltung sein kann. Der eigene Blickwinkel ist eingeschränkt und erklärt mitnichten, was alles dahintersteckt und was andere damit assoziieren.
Ich habe ja auch eine bestimmte Haltung. Zum Beispiel die, dass jeder Mensch gleichbehandelt werden sollte und eine Würde hat. Ich glaube, wenn es um fundamentale Aspekte geht, brauchen wir eine Haltung, ein Wertesystem. Dann ergibt diese explizit geäußerte Haltung Sinn. Aber wenn es um ein Thema geht, das verhandelbar ist, sieht es anders aus. In Fragen der Coronabekämpfung gab es in unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen auch unterschiedliche Herangehensweisen. Es gibt in der Klimapolitik und der damit verbundenen Energieversorgung noch viel größere Unterschiede. Wenn jemand für sich in Anspruch nimmt, die richtige Klimapolitik zu betreiben, dann frage ich gerne zurück, Aber was betreiben dann Chinesen oder Mexikaner oder Bangladeschi? Sind die weniger wert, weil sie in dieser Frage andere Prioritäten setzen? Da kommen Sie mit Haltung nicht weiter.
Kann Haltung demnach gefährlich werden, wenn ich sie zur Ideologie hochstilisiere und damit eben auch die Frage nach richtig und falsch beantworte?
Genau. Gefährlich wird Haltung dann, wenn ich sie instrumentalisiere. Wenn ich sie in einem Bereich zeige, in dem man eigentlich Ergebnisoffenheit benötigt. Das sehen wir in vielen Debatten. Mir wird oft vorgeworfen, ich sei gegen die Grünen oder gegen die Klimaaktivisten. Das ist totaler Quatsch. Dass eine Partei oder ein Aktivist eine andere Herangehensweise an dieses Thema hat und eigene Interessen vertreten will, finde ich legitim. Das ist in einer Demokratie wichtig. Gleichzeitig darf man nicht den Fehler machen, jemanden mit anderen Vorstellungen und Ideen moralisch abzuwerten oder böse Absichten zu unterstellen. Ich konzentriere mich immer darauf, den Menschen zu erläutern, was funktioniert und was nicht. Ich sage nicht, Der Habeck ist ein schlechter Mensch, denn was für ein Mensch er ist, das weiß ich ja gar nicht. Es ist müßig, jemanden mit einer anderen Meinung automatisch zu unterstellen, er vertrete sie aus niederen Beweggründen. Ich glaube, wenn man so eine starke Haltung zu den Dingen hat, dann neigt man stärker zur Geringschätzung, als wenn man sagt, Ich habe dazu in dem Moment keine Meinung.
Gefährlich wird Haltung dann, wenn ich sie instrumentalisiere. Wenn ich sie in einem Bereich zeige, in dem man eigentlich Ergebnisoffenheit benötigt.
Vince Ebert im Februar 2023
Keine Haltung zu haben, ist ja auch eine Haltung. Und das darf man sich auch eingestehen.
Bei mir ist es zum Beispiel beim Ukrainekonflikt so. Ich kenne mich da zu wenig aus, es ist für mich zu komplex. Und wenn ich dann in manchen Interviews gefragt werde, wie ich zu den Waffenlieferungen stehe und wie wir mit der ukrainischen oder der russischen Seite umgehen sollten, dann sage ich immer, Ich weiß es nicht. Ich habe zu wenig Informationen, um mir dazu eine klare Meinung zu bilden. Dan sind die Reporter und Journalisten immer verwirrt, weil sie solch eine Antwort in der Regel nicht bekommen. Jeder, der in der Öffentlichkeit steht, bemüht sich, zu jedem Thema irgendwas zu sagen. Und wenn Sie sich dann hinstellen und sagen, Ich habe dazu keine Meinung, dann heißt es aber Sie müssen doch eine Meinung haben. Nein, muss ich nicht. Ich muss keine Meinung dazu haben, weil ich zu wenig darüber weiß.
Kommen wir nochmal zurück zur Physik. Kann uns die Physik Orientierung im menschlichen Miteinander geben?
Nein, überhaupt nicht. Die Naturwissenschaft beschreibt nur, wie bestimmte Dinge funktionieren. Ein Kernphysiker kann Ihnen exakt ausrechnen, wie viel Energie durch eine Kernspaltung frei wird. Aber die Physik trifft keine Aussagen darüber, ob Kernenergie gut oder böse ist. Ein Risikoforscher kann Ihnen Risiken berechnen, aber er macht keine Aussage darüber, welche Entscheidung wir treffen müssen. Das sind gesellschaftliche Fragen, die die Naturwissenschaft nicht beantworten kann. Ich sehe es kritisch, dass viele in der Wissenschaftskommunikation inzwischen Fakten und Meinungen vermischen. Sie bleiben nicht bei dem Fakt, dass sich die Erde erwärmt. Und dass es bestimmte Auswirkungen haben wird, wenn das so weitergeht. Stattdessen hat man sofort eine Meinung und behauptet basierend auf dieser, dass man dieses oder jenes tun müsse. Fakten werden sofort weltanschaulich aufgeladen. Das ist aber nicht die Aufgabe der Naturwissenschaft.
Kann die Naturwissenschaft nicht gerade aufgrund ihrer faktischen Ausrichtung Orientierung in solch weltanschaulich diskutierten Krisen ermöglichen?
Natürlich kann Ihnen ein Naturwissenschaftler zum Beispiel sagen, welche Technologie am besten dazu geeignet ist, ein bestimmtes Problem zu lösen. Die Frage aber, ob man diese Technologie auch wirklich einsetzen will, geht ja weit darüber hinaus. Will es die Gesellschaft? Ist das also eine Wertfrage, eine Frage, die eigentlich demokratisch und gesellschaftspolitisch entschieden werden sollte und eben nicht wissenschaftlich? Natürlich sollte sich jede politische Entscheidung an wissenschaftlichen Fakten orientieren. Wenn Scholz morgen sagt, die Erde sei eine Scheibe, dann ist das natürlich Quatsch. Aber es gibt eine Menge politische Entscheidungen, die durchaus legitim, mit den physikalischen Gegebenheiten aber nicht in Einklang zu bringen sind.
Geben wir unseren Politikern zu wenig Zeit und Raum, eine Haltung zu entwickeln? Weil wir immer schneller sehr konkrete Antworten auf sehr komplexe Fragestellungen suchen?
Ich glaube schon. Wir beschweren uns gerne über die Politik, aber wenn die Politik dann Tacheles redet, wollen wir das ja auch nicht hören. Wenn sich Olaf Scholz heute hinstellt und sagt, Also Freunde, das mit den Renten, das haben wir durchgerechnet, das könnt ihr euch total abschminken, dann wäre das ein Skandal. Man überfrachtet die Politik seit Jahren schon mit dem Anspruch auf Lösungen, die sie gar nicht erschaffen kann. Dass es möglicherweise Bereiche gibt, wo die Politik nichts machen sollte, weil sie nichts machen kann, ist ja auch ein bizarrer Gedanke. Politik muss ja in Deutschland alles regeln. Wenn ich von meinem Vermieter rausgeschmissen werde, weil ich meine Wohnung zugemüllt habe und meine Miete nicht bezahle, dann gibt es ein Gesetz, das ihm das untersagt. Warum mischt sich da die Politik ein? Das kann man natürlich auch ganz anders sehen, aber die Politik versucht in allen Bereichen einzugreifen und reduziert darüber unseren persönlichen Handlungsspielraum. Und genau dann beschweren sich die Leute wieder, dass sie immer weniger Freiheiten haben.
Politik findet ja auf einer öffentlichen Bühne statt. Das stellt ganz besondere Herausforderungen an die Akteure und ihre Haltung. Olaf Scholz scheint ein gefundenes Fressen für all diejenigen zu sein, die sagen, er sei so lethargisch und seine Entscheidungsfindung dauere viel zu lange. Würde aber eine schnelle Entscheidung getroffen, die negative Auswirkungen nach sich zöge, dann würde man ihm genau das vorwerfen. Vielleicht nimmt Scholz sich einfach etwas mehr Zeit, um sich einen Überblick zu verschaffen und dann eine halbwegs fundierte Entscheidung zu treffen. Das ist auf der öffentlichen Bühne etwas ganz anderes, als beim Feierabendbier beim Italiener um die Ecke.
Ich hab‘ neulich in dem Podcast Bosbach und Rach – Die Wochentester mit Herrn Bosbach darüber gesprochen, dass Politiker in den letzten Jahren durch Medien, Medientrainer und Berater auf öffentlichkeitswirksames Verhalten getrimmt werden. Gib auf gar keinen Fall zu, wenn du dich geirrt hast, scheint offenbar eines der trainierten Verhaltensmuster dabei zu sein. Dadurch entsteht natürlich etwas total Absurdes, denn selbst wer die beste Politik der Welt macht, irrt sich nach oben, genau wie die Wissenschaft. Politik initiiert eine Maßnahme und beobachtet, ob die Maßnahme greift oder nicht. Gute Politik erkennt dabei Fehler und versucht anschließend etwas anderes, besseres. Und man hat natürlich enormen Respekt davor, zu sagen, Wir haben es versucht. Wir haben uns wirklich geirrt. Es tut uns leid. Wir haben es mit bestem Wissen und Gewissen gemacht und versuchen jetzt einen anderen Weg. Ich glaube einem Politiker, der so etwas von tiefstem Herzen sagen würde, würden die Sympathien zufliegen. Weil jeder weiß, dass es Unsinn ist, wenn der Laden auseinanderfliegt, und ein Politiker sagt, Wir haben alles im Griff. Das gilt natürlich nicht für jede Kleinigkeit, die wollen die Leute ja auch nicht wissen. Aber bei großen Themen, wie zum Beispiel dem Mindestlohn, wäre es ganz einfach, das Ganze wissenschaftlich anzugehen und klar zu kommunizieren: Wir führen den Mindestlohn für drei Jahre ein und definieren, was wir uns davon erwarten. Nach diesen drei Jahren überprüfen wir, ob es wie erwartet gewirkt hat. Und wenn sich die Lage verschlechtert hat, wenn die Zielvorgaben nicht erreicht wurden, dann überlegen wir, den Mindestlohn wieder abzuschaffen. So würde das ein Wissenschaftler machen. Ein Politiker sagt, Wir machen das, wir ziehen das durch. Die Haltung dazu: Der Mindestlohn ist wichtig. Und dann wird es durchgeprügelt, egal ob es funktioniert, oder nicht.
Themenwechsel: Mit welcher Haltung kommt man eigentlich von der Naturwissenschaft, über Beachvolleyball und Werbung in die Comedy?
Ich wollte schon immer etwas machen, das outstanding ist. Wo ich idealerweise der Einzige bin, der das kann. Oder der Beste in dieser Disziplin. Mit dieser Leistungsorientierung habe ich dann verschiedene Sachen ausprobiert. Ich habe Physik studiert, weil es das schwerste Studium war. Ich bin ein Jahr nach Amerika gegangen, habe in New York auf den Bühnen gespielt, weil ich beschissenes Englisch gesprochen habe und mich herausfordern wollte. Natürlich gibt es andere Comedians, die ihre Sache richtig gut machen und wesentlich mehr Zuschauer anziehen als ich. Aber dieser spezielle Ansatz, den macht kein anderer. Das hat mich seit frühester Kindheit angetrieben, etwas zu tun, was kein anderer so kann wie ich. Und das ist nach wie vor meine Haltung.
Das haben Sie ja schlau angestellt. Würde jetzt jemand die Naturwissenschaften auf die Comedy-Bühne holen, würde man wahrscheinlich sagen Das hat doch der Vince Ebert schon gemacht.
Ich lebe ja in Wien, da gibt es die Science Busters, die machen tatsächlich etwas ähnliches, aber mit vielen Experimenten. Am Anfang habe ich auf der Bühne auch experimentiert, mittlerweile gehe ich mehr in die gesellschaftspolitischen Themen und versuche meine Rolle über die Jahre weiterzuentwickeln. Dabei schaue ich nicht danach, was die Leute gut finden, mein Anspruch ist immer, das zu behandeln, was mich persönlich interessiert. Vor dem Hintergrund der Lebenserfahrung interessieren mich an der Wissenschaft heute andere Dinge, als vor 20 Jahren. Das hat also etwas mit Authentizität zu tun, mit einer Haltung, weil man wirklich dahintersteht. Und das spüren die Leute auch. Wenn ich etwas mit einer klaren Expertise tue und gleichzeitig auch eine Meinung dazu habe, dann kommt es von innen heraus und ist authentisch. Das heißt noch lange nicht, dass Ihnen die Herzen zufliegen. Aber die Leute spüren, Der meint es wirklich so, wie er es sagt. Das ist das große Geheimnis von Leuten, die auf der Bühne erfolgreich sind.
Stichwort Rolle: Verändert sich Ihre Haltung beim Schritt auf die Bühne, oder ist der Vince Ebert, den Sie dem Publikum präsentieren, weitgehend identisch mit dem privaten?
Es wird immer identischer. Am Anfang meiner Bühnenkarriere habe ich noch versucht herumzutricksen. Je länger ich dabei bin, desto mehr versuche ich das zu machen, was ich wirklich bin. Menschen, die mich privat und auf der Bühne kennen, sagen mir oft, dass sich Privat- und Bühnenmensch nicht groß unterscheiden, das freut mich sehr. Natürlich bin ich auf der Bühne pointierter und erzähle mehr Witze. Aber die Grundhaltung zu den Dingen ist dieselbe, wie im Privatleben. Ich kenne Leute, die auf der Bühne etwas erzählen und sich im Privatleben komplett anders verhalten. Das ist legitim und gehört zum Geschäft. Wenn es dem Publikum trotzdem gefällt, finde ich das vollkommen okay. Ich selbst schaue mir eigentlich gar nicht so viele Comedians oder Kabarettisten an, sondern gehe lieber mit meiner Frau ins Theater. Dabei merke ich immer mehr, ob ein Schauspieler authentisch ist oder nicht. Wenn jemand den Hamlet spielt, weiß man natürlich, dass er im Privatleben kein Prinz von Dänemark ist. Ich war mal ein Jahr in New York und habe erlebt, wie gut die Amerikaner das können, auf der Bühne so reden, wie wir jetzt miteinander sprechen, obwohl es ein Theaterstück ist. Im deutschsprachigen Raum hat man hingegen im Theater oft gesprochen, wie es kein normaler Mensch täte.
Mir fällt da Jürgen Vogel ein, der hat die Schauspielerei nicht gelernt und bei ihm habe ich immer das Gefühl, der spielt eben Jürgen Vogel. So funktioniert er als Schauspieler am besten, in Rollen, mit denen er sich wirklich identifiziert.
Schauspielern, die auf ein Rollenfach festgelegt scheinen, wirft man oft mangelndes Handwerk vor. Ich finde, das Gegenteil ist der Fall. Ein Arnold Schwarzenegger, ein Bruce Willis, selbst ein Robert de Niro haben irgendwann mal erkannt, wer sie sind. Ich glaube das hat viel mit ihnen selbst zu tun. Die haben einen Aspekt ihrer Persönlichkeit so explizit herausgearbeitet, dass die Leute sagen, Das kann nur Robert De Niro so spielen. Das finde ich sehr interessant.
Das Thema Klimaschutz nimmt aktuell viel Raum in Ihrem Schaffen ein. Wenn Sie darüber auf der Bühne sprechen oder in Ihren Büchern schreiben, werden Sie zur Zielscheibe für Diskussionen. Wie bewahrt man dabei Haltung?
Das Buch ist jetzt seit fünf Monaten draußen und es wurde viel besprochen. Wenn man so ein heißes Eisen in die Hand nimmt und sich damit außerhalb des Mainstreams bewegt, ist zu befürchten, dass man von manchen Menschen in eine dubiose Ecke gestellt und als Klimawandelleugner abgestempelt wird. Das ist glücklicherweise ausgeblieben. Ich habe eine flammende, positive Kritik im Spektrum der Wissenschaft bekommen, die FAZ hat sich lobend geäußert, ich durfte in allen seriösen großen Zeitungen Gastbeiträge und Interviews beisteuern, auch in eher grün-links orientierten Medien. Dadurch ist dieser Shitstorm ausgeblieben und ich sitze zurzeit relativ fest im Sattel. Wenn die Zeit oder der Spiegel sich positiv äußern, dann kann ich ein paar Freaks, die mich etwa als Atomlobbyist bezeichnen, gut aushalten.
Neulich hatte ich eine Veranstaltung in Heilbronn, nach der die marxistisch-leninistische Partei – ja, die gibt es immer noch – meinte, es sei ein Skandal gewesen, dass man mich eingeladen hat. Wenn so ein Marxist-Leninist das sagt, dann kann ich damit gut leben. Ich wüsste nicht, was passieren würde, wenn ich wirklich eine Persona non grata wäre. Dann wäre es natürlich übel, aber das ist zum Glück überhaupt nicht passiert. Mein Management hat neulich zu mir gesagt, Wir haben gedacht, wir müssten viel häufiger einen Anwalt einschalten.
Vorhin hatten wir darüber gesprochen, dass es Ihnen auf der Bühne vordergründig um Fakten und weniger um Haltung als eine grundlegende Einstellung geht. Kann Haltung so überhaupt zum Programm werden?
Doch, das kann sie schon. Natürlich versuche ich, in meinen Programmen und auch im Buch Fakten und Meinungen zu trennen. Zunächst stelle ich wissenschaftliche Fakten dar und sage, Das ist ganz einfach so! Manchmal habe ich eine Einschätzung dazu und äußere auch, wozu ich im einen oder anderen Fall raten würde. Dabei möchte ich dem Zuschauer immer die Möglichkeit lassen, die Dinge auch ganz anders zu bewerten. Ich will informieren, nicht missionieren. Ich bin bspw. für Kernenergie, kann aber verstehen, wenn jemand dagegen ist. Dabei hat keiner von uns mehr oder weniger recht, sondern es geht um Meinungen, und Meinungen sind verhandelbar. Anderes Beispiel: Klimaforschung ist objektive Wissenschaft. Klimapolitik ist verhandelbar. Und verhandelbar heißt, dass es keine eindeutig richtigen und keine eindeutig falschen Antworten gibt. Ich versuche, in den Programmen und in meinem Buch klarzumachen, dass man andere Meinungen aushalten muss und dass es zu einer aufgeklärten Gesellschaft gehört, diesen Diskurs einzugehen und auch mal vom Tisch aufzustehen und zu sagen, Da haben wir jetzt keinen Konsens gefunden.
Ich will informieren, nicht missionieren. Ich bin bspw. für Kernenergie, kann aber verstehen, wenn jemand dagegen ist. Dabei hat keiner von uns mehr oder weniger recht, sondern es geht um Meinungen, und Meinungen sind verhandelbar. Anderes Beispiel: Klimaforschung ist objektive Wissenschaft. Klimapolitik ist verhandelbar.
Vince Ebert im Februar 2023
Ich habe mal mit Hannes Jaenicke ein Streitgespräch für die Zeit geführt. Es ging unter anderem auch um die Klimadebatte und eine Frage war: Muss sich der Mensch ändern oder muss sich die Technologie ändern? Hannes Jaenicke ist eher Verfechter des ersteren: Wir müssen reduzieren, verzichten, unser Verhalten verändern. Ich habe den genauen Gegenpol vertreten: Wenn bspw. Menschen, die in China auf dem Land leben, zum Ersten Mal Stromanschluss bekommen und zum ersten Mal in den Urlaub fliegen können, dann werden die nicht reduzieren oder verzichten. Meine Lösung ist daher eher die, Technologien und wissenschaftliche Erkenntnisse zur Lösung ökologischer Probleme heranzuziehen. Wir waren uns in dieser Diskussion komplett uneins und es war sehr kontrovers. Trotzdem sind wir danach aufgestanden, haben uns die Hand gegeben und gesagt, Das nächste Mal trinken wir ein Bier zusammen. Weil wir beide aushalten konnten, dass es eine komplett andere Meinung zum selben Thema gibt. Ich finde, das fehlt uns. Wir sind eine Konsensgesellschaft und wenn wir keinen Konsens finden, erklären wir den anderen gern für irre.
Wie schmal ist der Grat zwischen der Reflexion einer humoristischen Darbietung und einer direkten Zuschreibung durch das Publikum auf Ihre Person? Einer Zuschreibung, die ja möglicherweise nicht richtig ist und Ihrer tatsächlichen Haltung zum Thema widerspricht.
Humor ist im Grunde genommen ein perfektes Mittel, um die Brisanz aus den Dingen zu nehmen. Nicht umsonst gab es die Funktion des Hofnarren, der als einziger dem König die Wahrheit sagen konnte. Und weil er das auf eine heitere Art gemacht hat, ist er eben nicht geköpft worden. So ähnlich sehe ich das auch. Vor vielen Jahren habe ich mal auf dem Tollwood Festival in München gespielt, ein grün orientiertes, alternatives Festival, wo unter anderem auch Umweltaktivisten anwesend waren. Da habe ich zehn Minuten vorher einen kleine Stand Up gemacht und danach ging es in die Diskussion mit Fachleuten. Dabei habe ich folgenden Gag gemacht: Ich bin neulich am Stand von Greenpeace vorbeigegangen und habe die gefragt: „Warum demonstriert ihr eigentlich immer gegen Pelzmäntel, aber nie gegen Lederbekleidung?“ Darauf die: „Weil man ältere Damen risikoloser anpöbeln kann als die Hells Angels.“ Darüber haben sich die Leute totgelacht, obwohl sie teilweise bei Greenpeace waren. Humor zeigt uns, dass wir widersprüchliche Wesen sind. Wenn ich den Menschen sage, sie sind widersprüchlich, machen sie dicht. Aber wenn ich es in einem Gag verpacke, dann lachen die Leute gegen ihre Überzeugung, weil sie ja ihre Haltung dazu nicht spontan ändern. Wenn man Humor also gezielt einsetzt, ohne den anderen bloßzustellen, nimmt er den Themen die Ernsthaftigkeit, lässt dem Ganzen buchstäblich die Luft raus.
Humor zeigt uns, dass wir widersprüchliche Wesen sind.
Vince Ebert im Februar 2023
Wie gut sind wir darin, diese Widersprüchlichkeit zu verstehen. Ich könnte mir vorstellen, dass manche über diese Gags lachen, ohne deren Ironie nachzuvollziehen.
In meinem aktuellen Programm rede ich die letzten zehn Minuten sehr ernst über diese Widersprüchlichkeit. Darüber, dass wir im Grunde genommen eine Welt erschaffen haben, die wir nicht mehr verstehen und gleichzeitig versuchen, mit einfachen Lösungen komplexe Probleme zu lösen. Ich spreche auch die Spaltung der Gesellschaft an, dass die Leute sich gegenseitig entweder als linksgrün versiffter Gutmensch oder als rassistischer AfDler bezeichnen. Dazwischen scheint es nichts zu geben. Dass sich Familien entzweien in der Diskussion um Impfung oder Nichtimpfung. Natürlich gibt es da auch ein paar Gags drin, aber in Summe ist es sehr ernst und kommt nicht umsonst am Schluss des Programms. Wenn ich diese Nummer am Anfang machen würde, dann wären die Leute total auf Ablehnung: Was will mir der Kasper da auf der Bühne eigentlich erzählen?! Ich ackere im Grunde genommen eineinhalb Stunden, um die Leute davon zu überzeugen, dass ich durchaus sympathisch bin, ein gerader Michel, der meint, was er sagt. Wenn sie diesen Punkt überschritten haben, dann kann ich sie auch mit Dingen konfrontieren, die vielleicht ein bisschen schwerer zu schlucken sind. Das hört sich vielleicht manipulativ an, aber wenn die Beziehung geklärt ist, nimmt ein Publikum einfach viel mehr an und denkt darüber nach. Ich glaube nicht, dass ich durch meine Programme die Welt verändere, aber wenn es mir gelingt, dass Leute beim nach Hause fahren darüber diskutieren, was ich im Programm gesagt habe, dann löst es irgendetwas aus.
In meinem Freiheitsprogramm habe ich auf der Bühne 50 € verbrannt. Dazu habe ich erzählt, dass es ein Akt von Freiheit ist, habe laut über die Funktion von Geld nachgedacht. Wenn Robbie Williams in seinen Programmen 5.000 € am Abend für die Pyrotechnik ausgibt, finden wir das super. Wenn aber jemand für 50 € Geld verbrennt, finden wir das bescheuert. Es war eine sehr verstörende Nummer und es kommen heute noch, 15 Jahre später, Leute zu mir und sagen: Herr Ebert, ich habe damals diese Geldverbrennungsnummer gesehen und ich mache mir da immer noch Gedanken drüber. Wenn man das bei den Menschen auslösen kann, dann finde ich das geil.
Mit Ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit können Sie Fakten an ein breites Publikum vermitteln, und das auf unterhaltsame Weise, die die Menschen emotional erreicht. Ist Haltung auf diese Weise adaptierbar?
Ich mache mal ein großes Fass auf: Wenn wir beispielsweise Gesellschaftssysteme in der westeuropäischen, arabischen oder asiatischen Region vergleichen, erkennen wir ganz unterschiedliche Grundauffassungen. Im arabischen Bereich haben die Menschen andere Konzepte, was etwa den Glauben betrifft oder die Gesellschaftsform. In Asien denken und handeln die Menschen wesentlich kollektivistischer, dort steht das Individuum nicht so im Vordergrund, wie in Westeuropa oder Amerika. Es gibt also vollkommen unterschiedliche Haltungen, die Welt zu sehen. Und das ist auf jeden Fall adaptierbar. Ich weiß nicht, was für eine Auffassung ich zu den Menschenrechten hätte, wenn ich in Nigeria oder im Iran aufgewachsen wäre. Das gesellschaftliche Umfeld hat einen enormen Impact auf das, was eine Grundgesamtheit mit Haltung bezeichnet. Wenn ich von frühester Kindheit an höre, Der Flüchtling will mich nur ausrauben, dann glaube ich es irgendwann und entwickle eine fremdenfeindliche Haltung. Wenn ich von frühester Kindheit gesagt bekomme, Alle Menschen sind gleich, dann wird meine Haltung eher die sein, mich tolerant gegenüber Andersdenken oder Fremden zu verhalten. Mit einem humoristischen Programm ist diese Übertragung, diese Adaption schwierig, weil ja gerade diejenigen zur Vorstellung kommen, die man nicht mehr überzeugen muss. Es kommen so gesehen immer die Falschen.
Eine interessante Perspektive.
Schon, aber mir fehlt dann was. Ich bin gerne Störenfried. Mir macht es Spaß, Themen aufzugreifen und den Leuten Dinge zu zeigen, die einen Aha-Effekt auslösen. In einem früheren Programm habe ich zum Beispiel darüber gesprochen, wie sich unser Bauchgefühl täuschen kann, wenn es um Zahlen und Daten geht. Ein Beispiel: Stellen Sie sich einen Würfel vor mit einer Kantenlänge von 1000 Metern. Dieser Würfel ist mit Wasser gefüllt und unten ist ein Loch, aus dem pro Sekunde 100 Liter Wasser fließen. Wie lange dauert es, bis dieser Würfel leer ist? Nicht ausrechnen, nur schätzen! Und dann frage ich: Was meinen Sie, ein paar Stunden, ein paar Tage, Wochen, Monate, ein paar Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte? Im Laufe der Zeit gehen immer weniger Hände hoch. Die korrekte Antwort ist: 317 Jahre.
So lange?!
Genau, und das ist so ein verblüffendes Ergebnis, weil unser Bauchgefühl uns sagt, das könne gar nicht sein. So etwas irritiert die Leute und ausgehend von dieser Irritation schaffe ich dann den Übergang: Nur weil uns unser Bauchgefühl etwas sagt, heißt es noch lange nicht, dass es mit den Daten kompatibel ist. Ich hole die Leute mit solchen Beispielen gerne aus ihrer Komfortzone. Wenn ich Sie damit verblüffe und zum Nachdenken bringe, finde ich das super.
Daten und Fakten bringen mich zur Wirtschafts- und Arbeitswelt: Das Thema Kennzahlen ist hier von großer Bedeutung, weil man strategische, finanzielle oder personelle Entscheidungen mit langfristigen Folgen nicht aufgrund von Bauchgefühl treffen will. Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass unser Bauchgefühl wichtig ist. Ich glaube, was wir Bauchgefühl nennen, ist ein Teil unseres Unterbewusstseins, der aus all unseren Erfahrungen schöpft und uns gute Signale sendet, ob etwas gut für uns ist oder nicht. Immerhin hat es uns geholfen zu überleben.
Genau. Auf der einen Seite sind wir ein evolutionäres Wesen. In fünf Millionen Jahren der Evolution hat sich unsere Intuition sehr gut entwickelt. Wenn uns in einer dunklen Straße jemand entgegenkommt, haben wir ein sehr gutes Gespür dafür, ob diese Situation gefährlich ist, oder nicht. Wenn es aber um Statistik oder die Einschätzung von Risiken geht, sieht das etwas anders aus. Der Kognitionspsychologe Daniel Kahnemann hat das in seinem Buch Schnelles Denken Langsames Denken beschrieben. Der Mann hat den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen, weil er genau das untersucht hat: Wenn es gefährlich wird, denke ich schnell, entscheide. Da geht es nicht ums Grübeln und Analysieren. Langsames denken bedeutet untersuchen und ausrechnen, um abzuschätzen, ob etwa eine neue Technologie mehr Lösungs- oder Risikopotenzial birgt. Beide Fähigkeiten haben wir. Wir können auf der einen Seite komplizierte Formeln berechnen, auf der anderen Seite sind wir Steinzeitmenschen in Hugo Boss Anzügen. Und weil das Gehirn Arbeit und Energie vermeiden möchte, greift es sehr oft auf die Emotion zurück: Ach nein, das fühlt sich falsch an, das mache ich nicht. Ich habe Angst vorm Fliegen, aber nicht vorm Autofahren, denn da habe ich ja die Kontrolle, das fühlt sich sicher an.
Wir können auf der einen Seite komplizierte Formeln berechnen, auf der anderen Seite sind wir Steinzeitmenschen in Hugo Boss Anzügen.
Vince Ebert im Februar 2023
Im Prinzip können wir uns mit solchen Einstellungen, die wir sorgsam pflegen, gut selbst betrügen? Denn statistisch ist das Autofahren viel gefährlicher als das Fliegen.
So ist es. Und genau das hat ein großes Humorpotenzial. In Vorträgen erkläre ich gerne, wie absurd wir mit Risiken umgehen. Nur 18 % aller Menschen benutzen beim Fahrradfahren einen Helm. Aber 91 % aller Menschen haben eine Schutzhülle für ihr Handy. Das heißt, wir machen uns eigentlich mehr Gedanken um unser iPhone, als um unser Gehirn. Das ist natürlich lustig, dahinter verbirgt sich aber der Aspekt, dass wir Risiken schwer einschätzen können, weil wir eben oft vom Bauchgefühl ausgehen. Wenn die Leute dann lachen und ich sie gleichzeitig auch ein bisschen für solche Themen sensibilisieren kann, dann finde ich das super.
Mein Bauchgefühl jedenfalls mir, dass unsere gemeinsame Stunde wahnsinnig schnell vergangen war. Das Zeitgefühl sah es nach einem Blick auf die Uhr genauso und so war die Zeit gekommen, Tschüss zu sagen: Lieber Vince Ebert, vielen Dank für Ihre Zeit, Ihre Perspektive und Ihren Humor. Und Tschüss.
Vince Eberts aktuelles Buch Lichtblick statt Blackout: Warum wir beim Weltverbessern neu denken müssen, erschienen im dtv-Verlag
https://www.amazon.de/Lichtblick-statt-Blackout-Weltverbessern-denken/dp/3423263423/ref=sr_1_1?keywords=vince+ebert&qid=1677069324&sprefix=vince+ebert%2Caps%2C208&sr=8-1
Die Haltung zur Anerkennung der unteilbaren Menschenwürde fordert den ganzen Menschen heraus.
Danke für Ihre Anmerkung. Ganz sicher hat Haltung mit unserer Ganzheit als Mensch zu tun. Daher kann sie auch sehr viele Facetten haben und alles andere als eindeutig sein. (Siehe dazu auch mein Gespräch mit Kathrin Halfmann.)
Guten Tag Herr Mark
*Danke für Ihre Anmerkung. Ganz sicher hat Haltung mit unserer Ganzheit als Mensch zu tun. Daher kann sie auch sehr viele Facetten haben und alles andere als eindeutig sein. (Siehe dazu auch mein Gespräch mit Kathrin Halfmann.“
Die unteilbare Würde des Menschen
im Vergleich:
zu einer bunten Mischung . einer großen Auswahl der Gesinnung · eine gemischt Art · ein mancherlei · mannigfach · mannigfaltig · verschiedenartig · viele Möglichkeiten zu verschiedener von Haltungen aller Art;
die unteilbare Menschenwürde erlaubt keine Zweideutigkeit.
mit freundlichen Grüßen
Hans Gamma