Employer Standing: Haltungsfragen im Diskurs mit Sebastian Pape

Sebastian bietet Coaching für Hochsensible. Dabei beschäftigt er sich mit Körper, Sprache, Haltung. Moment, Haltung? Ich habe Sebastian online kennengelernt. Auf LinkedIn verfolgte ich neugierig seine Beiträge. Und dachte mir: Hey, dieser Sebastian Pape, der kann sicher einige interessante Perspektiven zum Thema Haltung beisteuern. Wir trafen uns in Bremen. Und wie sagt man so schön: Menschen entscheiden binnen zwei Sekunden, ob sie jemanden sympathisch finden, oder nicht. Wir fanden uns offenbar sympathisch und verplapperten uns gleich beim ersten Interviewtermin komplett an meinen vorbereiteten Fragen vorbei.

Beim zweiten Termin dann drohte unserem Interview dasselbe Schicksal. Wir kommen anscheinend gern vom Hölzchen aufs Stöckchen. Und wo wir so schön dabei sind gleich noch auf die Splitterchen. Doch wir haben die Kurve entspannt genommen und im anschließenden Gespräch erkundeten wir spannende Blickwinkel von der Notwendigkeit, Widerstände zu überwinden, über die Bedeutung des Mittelmaßes bis zum Zusammenhang von Skepsis und Reflexion. Und letztlich konnten wir auch klären, welche Haltung erwächst, wenn man als Sohn eines Zigeunerbarons und einer transsexuellen Kosmonautin das Licht der Welt erblickt (siehe Sebastian Papes Weltbestseller „Leck mich fett“, erschienen im Selbstverlag, käuflich bei amazon.) Ach ja, hatte ich erwähnt, dass Sebastian zudem ein ausgesprochen feinsinniger und humorvoller Geist ist?

Sebastian, du beschäftigst dich mit Körper, Sprache, Training, wie du es selbst nennst. Zudem bist du geistig extrem rege. Was hält dich im Gleichgewicht?

Ich brauche einen körperlichen Ausgleich zur Tätigkeit meines Gehirns. Und das ist bei mir neben Krafttraining das Laufen. Manchmal schließt die eine Betätigung die andere aus. Deshalb mache ich jetzt gerade auch keine Liegestütze , während ich mit dir rede. Wenn ich hingegen Laufen gehe, kann ich mir parallel über Dinge klar werden.

Ist die körperliche Aktivität geradezu prädestiniert dafür, um auch mit einer inneren Haltung ins Gleichgewicht zu kommen?

Definitiv. Zum einen stelle ich es an mir selbst fest. Es entspricht dem Menschen, sich ausdauernd zu bewegen, das ist wissenschaftlich gut belegt. Menschen, die das nicht tun, enthalten ihrem Körper etwas vor, was er so dringend braucht wie Nahrung. Menschen brauchen Bewegung. Und ich glaube, sie brauchen das Überwinden von Widerstand. Damit meine ich nicht nur unseren inneren Schweinehund, sondern eben auch die regelmäßige Muskelanspannung. Denn auch die schafft im Gehirn Verknüpfungen und einen inneren Fokus. Das verschafft leistungsfähige Haltemuskulatur und damit letztlich Haltung. Du siehst ja Menschen an, ob sie sportlich sind oder nicht.

Wie eng ist eine körperliche Haltung mit einer mentalen, inneren Haltung verbunden?

Wir wirken umso überzeugender, je mehr wir unsere Fähigkeit zur Lockerheit oder eben auch zur Anspannung bewusst einsetzen können. Aber es gibt auch faszinierende Gegenbeispiele, zum Beispiel Stephen Hawking. Der hatte sehr kluge Gedanken und eine unmissverständliche Haltung. Er war absolut überzeugend, trotz Rollstuhl. Er wusste rein mit seinem Geist zu überzeugen, was ich sehr beeindruckend finde, gerade weil ihm körperlichen Ausdrucksmittel eben nicht zur Verfügung standen.

Muss man in Zusammenhang mit körperlichen Einschränkungen im Kopf weit voraus sein, um in unserer leistungsorientierten Welt überzeugen zu können?

Körperkraft allein reicht auch nicht. Wir alle kennen vom Schulhof den großen, tapsigen Bären, der gemobbt wird. Obwohl er die, die ihn ärgern, mühelos auf links drehen könnte, lässt er sich gefallen, dass sie ihn herumschubsen. Er ist von seiner Körperlichkeit her sogar überlegen und trotzdem gelingt es ihm nicht, über seine Körperhaltung zu überzeugen.

Aber neun von zehn Menschen, sind irgendetwas dazwischen. Sie sind nicht die stärksten Bären im Wald, sie sind nicht auf einen Rollstuhl angewiesen. Und alle entscheiden im Falle einer Begegnung in zwei Sekunden, ob sie jemanden mögen oder nicht. Das ist eine vollkommen oberflächliche Bewertung von dem, was ich sehe: Größe, Muskeln, Frisur, Klamotten – und eben auch Körperhaltung.

    Jetzt kann man darüber schimpfen, das sei ja alles sehr oberflächlich und man solle ein Buch nie nach dem Umschlag beurteilen. Aber den Umschlag haben sich die Menschen ja in 95 % aller Fälle selbst ausgesucht.

    Das bestreite ich. Ich glaube, dass das Auftreten von Menschen viel öfter unbewusst ist, als zielgerichtet oder gesteuert.

    Aber ist es nicht so, dass jeder selbst entscheidet, welche Frisur er trägt, ob er schludrig rumläuft, elegant oder sportlich? Es ist doch auch Ausdruck meiner Haltung, wie ich mich kleide.

    Ja, aber dann stellt sich die Frage, ob Menschen sich bewusst dafür entscheiden, komisch oder lächerlich auszusehen. In Bremen ist unter Männern das Phänomen Glatze mit Zündschnur hinten dran recht verbreitet. Und das sieht bei niemanden gut aus, bei niemanden.

    Das ist deine Meinung. Die würden das ja nicht tun, wenn es ihnen nicht gefiele. Es ist ihre Haltung, die daraus spricht. Gerade deswegen hilft es dir doch, in zwei Sekunden zu entscheiden, Ist das was für mich oder nicht?

    Es ist Ausdruck von etwas. Wahrscheinlich von Haltung. Es kann aber auch Ausdruck sein von Es ist mir total egal.

    Auch das ist eine Haltung.

    Richtig, auch das ist eine Haltung. Dann würde ich sagen, dass das, was ich unter Haltung verstehe, ein Bewusstsein der eigenen Wirkung erfordert.

    Was wäre denn deine Definition für Haltung?

    Meine Interpretation von Haltung ist positiv. Ich stehe für etwas Gutes ein und nehme in Kauf, unter Umständen dafür angefeindet oder missverstanden zu werden. Ich mache mich sichtbar. Ich beziehe Stellung: „Schaut, das ist meine Haltung.“ Und wenn ich so drüber nachdenke, sehe ich darin auch ein gewisses kämpferisches Element, diese Haltung zu verteidigen. Nicht unbedingt körperlich, das liegt nicht jedem. Aber sie dennoch gegen Widerstände zu verteidigen.

    Also ist in dieser Beschreibung Haltung die bewusste Einnahme einer expliziten Position zu einem Menschen, zu einer Sache, zu einem Thema?

    Genau. Wobei ich nicht sicher bin, ob zur Haltung zwingend dazugehört, dass ich sie verbal nach außen vertrete. Ich glaube, dass manche Menschen auch überzeugend wirken, ohne zu sprechen. Dinge nicht zu tun, ist ja auch ein Zeichen von Haltung. Ich gehe nicht Wählen. Ich gehe nicht zur Party von diesem Typ, der seine Freundin schlägt.

    Die körperliche Haltung können wir trainieren: aufrecht stehen, Rückenmuskulatur stärken, was auch immer. Können wir auch mentale Haltung auch trainieren?

    Ja, natürlich.

    Wie?

    Beharrlich bleiben. Ein Beispiel: Anfang der 80er Jahre sind in der Schule Witze über Schwule normal. Das gefällt mir nicht. Am Anfang gebe ich mich damit zufrieden, dass ich mich nicht daran beteilige. Irgendwann wird es mir aber zu bunt, weil es jemanden trifft, den ich mag und der sich nicht wehrt. Ich stelle mich also auf seine Seite und sage: „Ich finde den in Ordnung.“ Dann werde ich angefeindet, weil ich mich an seine Seite gestellt habe. Auch das gefällt mir nicht. Aber jetzt kann ich Haltung trainieren. Anstatt zu sagen: „Okay, ich habe es probiert, das ist mir zu unbequem, ich mache das nicht mehr“, sage ich „Egal, was ihr hier mit mir macht, es ändert nichts daran, dass ich das fühle und denke. Ich mag den.“

    So etwas kann ich üben, und Selbstsicherheit gewinnen, für größere Aufgaben. Die Mobber müssen ja jeden Tag mit mir umgehen, und es ist wahnsinnig anstrengend, Menschen zu schneiden, die man jeden Tag sieht. Wenn ich es ignoriere, hört Mobbing irgendwann auf. Und bis dahin ist das Training für die innere Haltung.

    Ich hätte das vorher so nicht definieren können, würde aber jetzt sagen: Für mich bedeutet Haltung, eine Überzeugung gegen Widerstände zu verteidigen.

    Für mich bedeutet Haltung, eine Überzeugung gegen Widerstände zu verteidigen.

    Sebastian Pape im Januar 2023

    Du hast mal von klarer Kante geschrieben. Kann man klare Kante zeigen, wenn man innerlich zerrissen ist?

    Ja, natürlich. Ich glaube sogar, dass es die Voraussetzungen dafür ist. Das Bewusstsein, dass alles auch ganz anders sein kann, dass die andere Meinung ihre Berechtigung hat, ist Voraussetzung für diese Art von Klarheit. Ohne inneren Zwiespalt ist Klarheit einfach. Kinder sind auch ganz klar. „Das rote Kleid da will ich haben.“ Sie sehen nur dieses eine Kleid. Wenn du ihnen dann das Rosafarbene danebenhältst, dann sind sie plötzlich hin- und hergerissen. Das heißt, manchmal sind Klarheit und Haltung ein Zeichen von Unwissenheit. Ich bin wahnsinnig verliebt in dieses Mädchen ist auf dem Dorf viel leichter als in der Stadt. Es gibt einfach nicht so viele andere.

    Das heißt, mit Zunahme an Optionen wird eine klare Haltung immer schwieriger.

    Ich weiß nicht, ob sie schwieriger wird, aber sie wird bedeutsamer. Weil sie das Ergebnis eines bewussten Entscheidungsprozesses ist.

    Wir leben ja im Überfluss, was unsere Entscheidungsfähigkeit extrem auf die Probe stellt. Und im schlimmsten Falle konsumieren wir alles, damit wir uns nicht entscheiden müssen. Denn jede Entscheidung für etwas ist ja auch eine Entscheidung gegen alles andere.

    Gut gesagt.

    Deswegen denke ich, ist Haltung umso schwieriger zu verteidigen, je vielfältiger das Angebot ist.

    Ich glaube, dass sich die Frage nach Haltung vor allem in heterogenen Zusammenhängen stellt. Wenn du in einer Stammeswelt aufwächst, in der alles von vornherein festgelegt ist, die für jedes Lebensalter Rituale bereithält, die dich Schritt für Schritt in die Gesellschaft initiieren, mit klaren, unumstößlichen Regeln, dann brauchst du keine Haltung. In meinem Stamm, in meiner Familie muss ich keine Haltung zeigen. Hoffentlich…

    Wir schauen gerade von zwei unterschiedlichen Perspektiven auf Haltung. Aus deinen Aussagen höre ich etwas Situatives und Kompetitives heraus. Für dich geht es bei Haltung darum, Stellung zu beziehen, etwas zu verteidigen, mitunter gegen Widerstand. Ich gehe im Moment von einem grundsätzlichen Zustand aus, da wir eigentlich nichts tun können, ohne damit auch eine Haltung zu offenbaren.

    Das hast du gut auf den Punkt gebracht. Es ist ein Teil meiner Persönlichkeit, der mir Unbehagen bereitet. Vieles in meinem Leben hat mit sich vergleichen und gegen Widerstände verteidigen zu tun. Das hängt wohl mit meiner Kindheit zusammen. Meine Eltern hatten beide den inneren Auftrag, mich zu etwas anderem zu machen, als ich war. Das hat zwar nicht funktioniert, aber es hat in mir Verdrehungen bewirkt, die bis heute nachwirken. Mein Blick auf Haltung ist von dieser Erfahrung geprägt. Dass nicht selbstverständlich respektiert wird, was ich bin und wie ich bin. Und wie schön es wäre, würde ich mich ausschließlich in einem Umfeld bewegen, in dem ich genüge. Egal, was ich trage, egal, was ich sage, egal, wie ich drauf bin, ich genieße immer den gleichen Respekt.

    Hier wird eine interessante Differenzierung deutlich: Unsere innere Einstellung beeinflusst unser Verhalten. Ich gebe meiner Frau ein Küsschen, weil ich sie liebe. Das ist eine Haltung, die ich ihr gegenüber habe. Du hast vorhin beschrieben, dass man in diesem sicheren Raum einer gesunden Beziehung keine Haltung bemühen muss. Deshalb fühlen wir uns geborgen. Im beruflichen Kontext hingegen setzen wir Haltung sehr bewusst ein. Dazu gehören Energie und Kraft, weil in diesem Kontext Widerstände auftreten. Du willst ein Budget durchsetzen und du weißt, es wird Anderen Budgets wegnehmen, oder die Geschäftsleitung sagt „Dafür haben wir noch nie Geld ausgegeben.“ In diesem Fall musst du sehr bewusst eine Haltung in dir aktivieren und sie auf die Bühne lassen, die dir die Auseinandersetzung ermöglicht. Und genau da liegt der Unterschied: Das eine läuft im Autopilot, energiesparend für unser Gehirn. Du darfst sein, wie du bist. Die Haltung, die du in dir trägst, lässt du einfach laufen. Ohne Leine. In anderen Kontexten geht das aber nicht. Da wird Haltung plötzlich zur aktiven Handlung, der ich viel Energie zuführe.

    Wahrscheinlich hast du mit allem recht, was du sagst. Aber während ich darüber nachdenke, merke ich, dass dieses kontinuierliche Vergleichen scheinbar unwiederbringlich in mir verankert ist. Ein Reflex, der analysiert, in welchem Zusammenhang ich aktuell stehe und wieviel Energie ich aufwenden muss, um mein Ziel in dieser Situation zu erreichen. Das kann eine Party sein, auf der ich nur bin, weil meine Frau möchte, dass ich da mitkomme. Da muss ich Energie aufwenden, um mich nicht schlecht zu fühlen. Oder es ist ein geschäftlicher Zusammenhang. Ich möchte einen Abschluss tätigen und muss Energie aufwenden, um einerseits nicht alles zu verraten, wofür ich stehe, andererseits aber auch, um auf mein Gegenüber einzugehen und ihn mitzunehmen. Schließlich will ich ja was verkaufen.

    Gutes Stichwort: Du bezeichnest dich ja als Souveränitätscoach. In meinen Augen ist Souveränität etwas, das viele Menschen überwiegend in einen beruflichen Kontext setzen. Denn während ich davon ausgehe, dass im Privatleben alles läuft, ist mein Verhalten im beruflichen Umfeld oft mit einer Erwartungshaltung verbunden. Dem Wunsch nach Entwicklung etwa, oder mehr Standing in der Abteilung. Nun erklär mir mal, was genau Souveränität dann eigentlich bedeutet.

    Ich nenne es mal „gelassene Autorität. Das schließt autoritäres Verhalten komplett aus. Jemand, der brüllen muss, um zu überzeugen, wirkt nicht souverän. Gelassenheit ist entscheidend, wenn Menschen souverän wirken. Plus die Bereitschaft, Nachteile in Kauf zu nehmen, weil ich mein Ideal nicht verraten möchte. Gelassene Autorität, gepaart mit einem gewissen Idealismus trifft es, glaube ich, ganz gut.

    Souveränität erwächst aus gelassener Autorität, gepaart mit einem gewissen Idealismus. Jemand, der bspw. brüllen muss, um zu überzeugen, wirkt nicht souverän.

    Sebastian Pape im Januar 2023

    Da steckt ja auch das Wort lassen drin. Zu wissen, was man lässt und was man nicht lässt. Dinge geschehen lassen, ohne gleich das Gefühl zu haben, die eigene Autorität würde untergraben.

    Das ist das Schöne, mit Gelassenheit verbinden alle etwas Positives.

    Wie wird man nun gelassen und souverän?

    Indem ich in einem ersten Schritt tue, was immer so esoterisch klingt: Mich annehmen, wie ich bin. Ich habe es immer gehasst, wenn jemand das in meiner Gegenwart gesagt hat. Wie meine Mutter: „Sebastian sei einfach so, wie du bist, dann bist du am besten.“ Nur wusste ich das mit fünfzehn natürlich nicht. Ich wusste nicht, wer ich bin, wie ich bin, wie ich aussehen will, wie ich mal sein will.

    Wusstest du auch, dass du es nicht weißt?

    Ich war mir zumindest meiner Unsicherheit sehr bewusst.

    Das ist viel wert.

    Naja. Ich habe wohl nicht so unsicher gewirkt, wie ich mich gefühlt habe. In der Schule bin ich ja von lauter Menschen umgeben, die auch viel Positives über mich wissen: guter Sportler, spielt Theater, Jazzband, Orchester. Es war offensichtlich für alle: der kann was. Nur mir nicht. So war ich eigentlich ständig im Zweifel mit mir und meinem Wert. Vor allem, wenn ich verliebt war und gedacht habe, so einen wie mich, den will die gar nicht. Stimmte gar nicht, nur wusste ich das eben nicht. Deswegen glaube ich, dass diese radikale Erlaubnis zur – Selbstliebe ist mir schon zu viel – aber zu dieser Zufriedenheit mit sich selbst so wichtig ist.

    Warum ist dir Selbstliebe zu viel?

    Weil Liebe so ein missbrauchter Begriff ist. Mit Liebe wird so vieles erklärt, was sich nicht gehört. Meine Eltern haben ihre Art, mit mir umzugehen, auch mit Liebe erklärt. Nur fühlte es sich nicht liebevoll an. Das bedeutet, das Reden über Liebe hat keinen Wert, wenn es nicht gestützt ist durch das Gefühl, das ich bei dem anderen auslöse. Wenn der andere sich von mir nicht geliebt fühlt, kann so oft und viel von Liebe reden, wie ich will, er fühlt sich trotzdem schlecht.

    Das trifft prinzipiell auf jede Empfindung zu.

    Das stimmt. Aber Liebe muss für so vieles Furchtbare herhalten. Fast wie Gott.

    Wir lieben Lebensmittel.

    Hihi. Oder das Banale, genau. Deswegen lieber die kleinere Münze Zufriedenheit.

    Aber wir waren eigentlich bei der Frage, wie man Souveränität entwickelt. Wie komme ich da jetzt hin?

    Wir waren beim ersten Schritt der Selbstannahme. Sich erlauben, okay zu sein. Ich musste mir zum Beispiel erlauben, mittelmäßig sein zu dürfen, weil ich immer alle Sachen gut oder sehr gut, am besten perfekt machen wollte. Was schlimm ist, neurotisch geradezu. Aber wenn ich mir erlaubt habe, ich selbst und liebenswert zu sein, dann ist der zweite, entscheidende Schritt in Richtung Souveränität nur noch der, das auch nach außen zu richten. Nämlich ganz gelassen zu sagen „Ich setze mich jetzt der Öffentlichkeit aus, in dem Bewusstsein, liebenswert und in Ordnung zu sein.“ Wenn beispielsweise meine Arbeit darin besteht, vor Leuten zu stehen und ihnen Wissen zu vermitteln, dann darf ich das in aller Gelassenheit und in aller Mittelmäßigkeit tun, in dem Bewusstsein Ich bin in Ordnung. Ich muss dafür weder besonders laut noch besonders witzig noch besonders schön sein. Ich muss gar nicht besonders sein. Ich glaube, Souveränität ist sowas wie innerer Frieden mit der eigenen Mittelmäßigkeit.

    Souveränität ist sowas wie innerer Frieden mit der eigenen Mittelmäßigkeit. Wenn meine Arbeit bspw. darin besteht, vor Leuten zu stehen und ihnen Wissen zu vermitteln, dann darf ich das in aller Gelassenheit und in aller Mittelmäßigkeit tun, in dem Bewusstsein Ich bin in Ordnung. Ich muss weder besonders laut noch besonders witzig noch besonders schön sein. Ich muss gar nicht besonders sein.

    Sebastian Pape im januar 2023

    Ist es dann eine wohltuende Ironie des Schicksals, dass viele Menschen, die diese Souveränität an den Tag legen und ihre Mittelmäßigkeit anerkennen, überdurchschnittlich respektiert werden, anziehend wirken, Charisma versprühen, eigentlich überhaupt nicht mittelmäßig wirken?

    Das ist sehr gut denkbar. Es gibt aber natürlich auch Menschen, die wirken souverän, weil sie sich berufen fühlen. Und diese Menschen fühlen sich gar nicht mittelmäßig. Ich glaube, dass Elon Musk schon zu Schulzeiten davon überzeugt war, dass er ein Erleuchteter ist. Genauso wie Trump Donald in dem Irrtum großgezogen wurde, er sei etwas Besonderes. Dann ist die Wirkung von Souveränität im Grunde anerzogen.

    Das ist interessant, denn man kann ja den Gedanken umdrehen und fragen „Ist nicht jeder etwas Besonderes?“

    Ja, natürlich. Der Satz Jeder Mensch ist etwas Besonderes ist ganz wunderbar. Denn im gleichen Maß, in dem ich etwas Besonderes bin, bin ich nur einer von 8 Milliarden, die es auch sind. Das bedeutet, in ein und demselben Satz stecken sowohl meine Einzigartigkeit als auch meine Mittelmäßigkeit. Das ist faszinierend.

    Der Satz Jeder Mensch ist etwas Besonderes ist wunderbar. Denn im gleichen Maß, in dem ich etwas Besonderes bin, bin ich einer von 8 Milliarden, die es auch sind. Das bedeutet, in ein und demselben Satz stecken sowohl meine Einzigartigkeit als auch meine Mittelmäßigkeit. Das ist faszinierend.

    Sebastian Pape im Januar 2023

    Das Wort besonders wird in unserem Sprachgebrauch gerne mit einer Überdurchschnittlichkeit, mit einer Erhabenheit assoziiert. Ist das dann überhaupt richtig? Oder geht es ist vielleicht eher um die Einzigartigkeit jedes Menschen.

    Jeder Mensch ist einzigartig. Und auch darüber lohnt es nachzudenken, denn auch das mindert den Größenwahn ein wenig. Dann gibt es ja auch noch das schöne Wort eigenartig, mit dem wir ebenfalls eine Wertung assoziieren: „Der ist aber eigenartig.“

    Dabei ist das so ein schönes Wort, wenn man einfach nur eine eigene Art hat.

    Nicht wahr? Ich liebe auch sehr den Eigensinn. Kinder sollen nicht eigensinnig sein. Darin steckt unsere Angst vor Normabweichung. Was nonkonform ist, stellt ja die Regeln in Frage.

    Wenn viele Menschen in einem sozialen Gefüge zusammenleben, muss es ja eine gewisse Art von Konformität geben, damit diese Gemeinschaft funktioniert.

    Um das zu regeln, reicht der Satz, der mir in meiner Kindheit beigebracht wurde: Meine Freiheit endet da, wo die Freiheit des anderen anfängt. Damit ist alles gesagt.

    Wir mögen offenbar beide die Vielschichtigkeit deutscher Begriffe. Lass uns da anknüpfen: Körpersprache, also Körper und Sprache, wer beeinflusst wen?

    Ich glaube, dass mein Körper den Rahmen für das setzt, was mir verbal möglich ist. Wenn ich mit meiner Körpersprache nicht überzeuge, wird es auch mein Text nicht tun. Das ist mein Erleben und das ist meine Überzeugung.

    Auf LinkedIn oder in deinem Buch schreibst du sehr spitz und pointiert. Und manches liest sich ein wenig zynisch. Wieviel Haltung zeigt Zynismus? Oder wieviel verbirgt er?

    Ich spreche lieber von Ironie. Ich glaube, dass Ironie meine Zuflucht vor Enttäuschung ist. Ich hatte in meinem Zivildienst zum ersten Mal mit Menschen mit Trisomie 21 zu tun. Die waren in einer bezwingenden Weise eindimensional. Unzynischer geht es nicht. Dieser doppelte Boden steht ihnen nicht zur Verfügung. Das war für mich eine riesige Erleichterung, ein sehr angenehmer Umgang. Manche sehr religiöse Menschen haben das auch, so eine heilige Einfalt. Ich mag das sehr und merke an mir, wenn ich Zuflucht nehme zur Ironie, dann verberge ich auch immer etwas.

    Und was verbirgt es in deinem Fall?

    Enttäuschung in mancherlei Hinsicht. Ich glaube, dass ich mir als Kind gewünscht habe, dass alle Menschen nett zueinander sind. Und da ist immer noch diese kindliche Enttäuschung in mir, dass das nicht der Fall ist. Dann ist Ironie mein Florett, um die anzugreifen, die den Frieden verhindern.

    Ob Clowns, Kabarettisten oder Satiriker – wir nutzen Humor schon immer als Waffe, um durch die Blume das zu sagen, was wir direkt nicht aussprechen wollen?

    Genau. Da mag ich das Bild des Hofnarren. Der ist der Einzige, der dem König sagen kann „Das kannst du so nicht machen“. Die Narrenkappe lässt den König das Gesicht wahren, aber die Wahrheit ist raus.

    Wenn wir so schön ins Plaudern kommen, hat das viel mit Reflexion zu tun. Ich frage mich, ob man überreflektiert sein kann?

    Auf jeden Fall, und das ist schrecklich. Reflexion ist eine Folge von Zweifel. Wer nicht zweifelt, reflektiert auch nicht. Ohne Zweifel lebt es sich aber wesentlich entspannter.

    Menschen, die nicht zweifeln, sind eindimensional. Die beackern flache Böden, was in Ordnung ist, da wachsen die Pflanzen schneller. Dafür tragen sie aber keine Früchte.

    Sebastian Pape im Januar 2023

    Gehört die Reflexion zwingend zur Haltung dazu.

    Natürlich hängt das alles zusammen. Ich glaube, dass jemand sehr überzeugend auftreten kann, der nicht die geringsten Zweifel an sich hat. Trump hat keine Zweifel an sich. Der ist überzeugend, vielleicht nicht für dich und mich, weil wir ihn albern finden, aber er hat Millionen von Amerikanern überzeugt. Zweifel sind aber Voraussetzung für Nachdenken. Menschen, die nicht zweifeln, sind eindimensional. Die beackern flache Böden, was in Ordnung ist, da wachsen die Pflanzen schneller. Dafür tragen sie aber keine Früchte.

    Die Zeit schreitet voran, die allerwichtigste Frage zum Schluss: Du bist Sohn eines Zigeunerbarons und einer transsexuellen Astronautin*. Was für eine Haltung ergibt sich aus diesem Spannungsfeld?

    Das ist witzig. Ich habe das in meinem Buch ja bewusst einen „alternativen Lebenslauf“ genannt. Aber es gab auch die Zuschrift einer Frau, die mir wegen meines extrem harten Lebens ihr tiefes Bedauern ausgedrückt hat.

    Das kann nicht sein.

    Doch. Erstaunlich, nicht? Aber sie hat nicht ganz unrecht. Als hochsensibles mittleres Kind zwischen einer Borderlinerin und einem kriegstraumatisierten Vater hatte ich ausreichend Anlass für lebenslange Selbstzweifel.

    *Zitat aus Sebastian Papes Buch „Leck mich fett“.

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