Employer Standing: Haltungsfragen im Diskurs mit Markus Gull

Man sollte nur versprechen, was man auch halten kann. So haben mir das meine Eltern mal beigebracht. Was für Menschen eine Selbstverständlichkeit ist, scheint für Unternehmer keine wirklich brauchbare Maxime zu sein. Kein Wunder, Gewinnmaximierung steht ethischen Maximen mitunter im Weg. Weil der schnöde Mammon überall lauert, in Einkaufsverhandlungen, im Preiskampf, im Outsourcing und auch im miserablen Umgang mit Mitarbeitenden.

Nachdem die HR-Branche nun seit nahezu 20 Jahren die Authentizität proklamiert, entsprechend zielführende Verhaltensweisen innerhalb organisatorischer Strukturen aber zwischen die Prozessmühlen und unter die Hierarchieräder geraten, möchte ich der Haltungsfrage im Kontext der Wirtschafts- und Arbeitswelt auf den Grund gehen. Ein persönliches Anliegen, das mich umtreibt.

Markus Gull denkt über Employer Standing nachSo trieb es mich auch im Dezember vergangenen Jahres nach Wien. Dort durfte ich Markus Gull, den Drehbuchautor, Markenexperten und Story Dude besuchen. Weil auch er Rückgrat und Haltung in Organisations- und Wirtschaftskreisen vermisst, schenkte er mir satte vier Stunden gemeinsame Gesprächszeit. (Wer ihn mal online besuchen will, findet den charismatischen Denker unter storydude.com oder auf seinem Blog.)

In dieser Zeit schmunzelte er am meisten bei der Frage, wann Haltung ihren Halt verliere. Und wie so oft sind es die unerwarteten Fragen, die sehr substanzielle weil spontane Antworten zutage fördern. Unser Gehirn greift in solchen Momenten automatisch auf die für uns relevanten Aspekte zurück, was uns Tiefgang im Diskurs beschert. Markus Antwort auf diese Frage hallt entsprechend intensiv in meinem Kopf nach:

Haltung verliert ihren Halt, wenn man versucht, Business mit ihr zu machen. Wenn sie Vehikel ist, nicht Anker.
(Markus Gull im Dezember 2019)

Wow. Das hat mich umgehauen. Weil so viel drin steckt. Geschäftemacherei mit Haltungsfragen? Kommt mir bekannt vor. Zunächst startete es mit der Corporate Social Responsibility, die sicherlich in vielen Fällen einer ehrenhaften Absicht entsprang, aber oftmals in der operativen Geschäftsrealität der meist zahlen- und nicht wertgetriebenen Unternehmenspolitik zuarbeitet. Diese Politik hat nun mal viel mit Interessensab- und -ausgleich zu tun, mit Kompromiss, Lobbyismus, Zielerreichung und Gewinnmaximierung. Deswegen ist der Sprung zur nächsten Stufe auch nicht sonderlich groß, dem Greenwashing. In Zeiten der Fridays-for-Futures und der Siegeszüge ökologischer Parteien reiht man sich ins gesellschaftspolitisch aufgeheizte Klima ein und beteuert das Gute und Rechtschaffene. Weil das Gegenteil eine Umsatzeinbuße zur Folge haben könnte.

Mir fällt da spontan der Dieselgate ein. Ein Gang zu Schafott der Automobilindustrie. könnte man meinen. Doch was sehen wir da? Die finanziellen Schäden sind nicht mehr abzuwenden, erreichen etwa bei VW horrende Summen. Nun gut, Geld lässt sich ersetzen, beziehungsweise erneut verdienen. Wie aber steht es um das Vertrauen? Man möchte doch annehmen, dass die treue Gefolgschaft sich entrüstet abwendet in Zeiten, in denen technologisch nahezu alle etablierten Marken gleichauf sind und die Unterschiede nicht mal im Design wirklich auszumachen sind, sollte der Wechsel zu einer ökologisch glaubwürdigeren Marke doch naheliegend sein. Die Unternehmensberater von Prophet haben im Oktober 2015 bei 1.000 Deutschen nachgefragt. Demnach „bleibt die Marke VW trotz des jüngsten Skandals um manipulierte Abgaswerte in Deutschland für Kunden attraktiv.“ (Horizont Online, im Oktober 2015)

Wow. Das haut mich um. Weil es so viel aussagt. Alle scheinen zu schimpfen, kehren vor den Haustüren anderer, und machen an der eigenen Pforte Halt. Wir sind mobil aufgewachsen, Unabhängigkeit, Freiheit, Grenzenlosigkeit, das Auto ist das Symbol des Wirtschaftswunders, angefangen mit dem Käfer. Und schaut man auf die Zulassungsstatistiken aktueller SUVs, ist es nach wie vor Statussymbol par excellence, Vehikel des Etablierten, Ausdruck derer, die es zu etwas gebracht haben im Leben, der Baby Boomer und der Generation X, mich also eingeschlossen.  So wundert es nicht, dass sich der Konzern einerseits mit immer neuen Cross Over Modellen wie T-Roc, T-Roc Cabrio und T-Cross dem Markt hingibt, und sich andererseits seit vergangenem Jahr als engagierter E-Mobility-Vorreiter positioniert: „Mit unseren ID. Modellen beginnt eine neue Ära der Elektromobilität: intelligent, innovativ und nachhaltig. Und vor allem: für alle. Weil eine neue Idee erst dann viel bewegt, wenn jeder Teil davon sein kann.“ Macht für den Autobauer fürs Volk verbalen Sinn. Und doch hat’s a leichtes G’schmäckle. Flattert da das Fähnchen im Fridays-for-Future-Wind? Die anhaltende Markentreue ist ein Stück in uns Menschen veranlagt, erläutert mir mein Kompagnon Oliver mit Blick auf Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft: „Es ist, wie bei einer guten Freundschaft: Man verzeiht einem guten Freund deutlich mehr, als einer flüchtigen Bekanntschaft, neigt zur Nachsicht und vertraut auf Besserung.“

„Was bedeutet das aus Sicht der Markenstory?“, mag man Markus Gull zurufen. Hat man etwas aus den Abenteuern mit Käfer, Golf, Passat, Phaeton & Co gelernt. Ist der Held VW geläutert und zeigt das mit moderat erneuertem Logo? Ist die Haltung des Konzerns ernst zunehmen? Oder nur ein Vehikel für den Eintritt in das Geschäftsfeld E-Mobility? Ich jedenfalls danke Markus zutiefst für diese und viele andere inspirierende Impulse, von denen ich hier nur den einen herausgefischt habe. Wenn es euch interessiert, schreibe ich auch gerne über andere Aspekte – hinterlasst mir einfach einen Kommentar.

Doch das Beste: Der Diskurs hat gerade erst angefangen. Meine nächste Gesprächspartnerin wird eine der gefragtesten Speakerinnen und Managementtrainerinnen Deutschlands sein: Anfang Februar spreche ich mit Daniela Ben A. Said, unter anderem zu der Frage: „Wie fühlt sich Haltung an?“

Wow, ich freue mich drauf…

5 Gedanken zu “Employer Standing: Haltungsfragen im Diskurs mit Markus Gull

  1. Das ist eine sehr gute Frage. Spontan fallen mir drei ein, und darunter nur eines aus eigenem Erleben. Und das ist die Otto Group in Hamburg, für die ich Mitte der 2000er die Employer Brand entwickelt und deren Umsetzung anschließend 7 Jahre begleitet habe. Otto ist seither eines der ganz wenigen Unternehmen, die ich erlebt habe, die sehr konsequent einen zuvor tiefgehend besprochenen und gemeinsam verabschiedeten Weg beschritten haben. Zum einen kommunikativ im Sinne des Employer Branding. Aber auch im Wandel vom Versandhändler zum E-Commerce-Platzhirsch wurden Aspekte wie Gestaltungsfreiraum und Eigenverantwortung nicht nur postuliert, sondern angewandt. Damit einher ging und geht eine sehr konsequenten Neuausrichtung der gesamten Arbeitswelt, beginnend mit dem Abbau von Hierarchien, dem Auflösen von formalen Bürostrukturen, dem Ausbau von Dialogformaten und der Flexibilisierung der Arbeit. Ich halte diese Organisation für sehr glaubwürdig, weil ich sie eben lange selbst begleitet habe.

    Darüber hinaus fallen mir Unternehmer wie Dirk Rossmann (Drogeriekette Rossmann) und Wolfgang Grupp (Trigema) ein. Wobei ich betonen möchte, dass Haltung zunächst ein wertfreier Begriff ist, der beschreibt, das jemand seiner Überzeugung treu bleibt. Unabhängig davon, ob ich persönlich diese Überzeugung teile oder nicht.

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