Über die Qual der Dienstleisterwahl
Heute schaffe ich mich wieder einmal selbst ab. Weil ich mich so manches Mal frage, ob ich überhaupt der Richtige für den Job bin. Zumindest für den, den die auftraggebenden Organisationen im Unterbewussten mit sich herum tragen, während sie etwas anders beauftragen.
Viereinhalb Jahre habe ich die gängige Employer Branding Praxis hinterfragt und gegen das Lehrbuch gewettert. Bisher gipfelte das Ganze Anfang 2018 in meiner Aussage, Employer Branding sei tot. Für viele Brancheninsider war das ein alter Hut. Im Human Ressources Manager konnten wir uns bereits 2016 über Stolperfallen in meiner Lieblingsdisziplin informieren. Im selben Zeitraum gab uns HR-Today weitere Einblicke in die Missverständnisse, die aus der reinen Adaption der Branding- und Marketinglehren entstehen. Und im Juli 2017 schloss sich der Persoblogger Stefan Scheller auf seine unverwechselbare praxisorientierte Art und Weise an.
Totes Spezialgebiet – Ein alter Hut also?
Ich selbst habe meinen persönlichen Prozess des Loslassens alter Denkmuster gemeinsam mit meinem Kompagnon Oliver Mattern und dem agilen Frank Weber in die Idee des Employer Standing überführt. In meinem entsprechenden Blogartikel komme ich u.a. zu folgender These:
Was wir brauchen ist eine neue Haltung. Damit Arbeitgeberattraktivität wieder substanziell wird und nicht nur kommunikativ stattfindet. Diese Haltung nennen wir Employer Standing.
Wenn ich mich im Markt umschaue, erscheint mir der Hut im Gegenteil seiner Zeit immer noch weit voraus: Employer Branding wird nach wie vor als eines der Top Themen gehandelt, wenn es darum geht, dem Fachkräftemangel Einhalt zu gebieten. Auch wir als menschmarker begleiten noch viele Projekte, die einer traditionellen Denke entspringen. In diesem Kontext werden Dienstleister angefragt, die eine substanzielle Grundlage erarbeiten sollen, um dann alles Gewicht in die Waagschale der externen Sichtbarkeit zu werfen. Ich lehne mich vielleicht weit aus dem Fenster, aber meine Erfahrung zeigt mir in beeindruckender Regelmäßigkeit, dass die interne Bewusstseinsbildung und die Bedeutung internen Brandings eifrig besprochen werden, das Handeln aber stets den externen Effekt fokussiert. Entsprechend werden Spezialdienstleister im Bereich Employer Branding gebucht, wo waschechte Kreativhäuser bessere Kampagnenergebnisse erzielen würden. Oder es werden klassische Agenturen gebucht, die die Komplexität des Themas Employer Brandings, die Verflechtung von Versprechen und Realität, von Mensch, Job und Organisation, unterschätzen.
Je länger ich mit menschmark meiner eigenen Philosophie in Sachen Employer Branding folge, desto häufiger stelle ich mir die Frage, nach welchen Kriterien Projektverantwortliche in den nach Arbeitgeberattraktivität suchenden Unternehmen ihre Dienstleister auswählen. Und auch in diesem Zusammenhang bricht sich mein Freigeist Bahn, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich selbst abschaffe. Denn oftmals denke ich rückblickend: Ich bin wohl der Falsche.
Drei Kategorien von Anbietern – eine persönliche Einschätzung
Ich selbst habe über 15 Jahre Erfahrung im Bereich Employer Branding und Personalmarketing auf dem mentalen Buckel. Wachsen konnte diese Erfahrung auf dem Fundament eines spezialisierten Marketing-Kommunikationsstudiums. Und damit fiel ich, wie viele andere, in eine der drei Kategorien von Dienstleistern, die sich als Employer Branding Spezialisten auf den Markt warfen:
- Kreative und Marketingexperten, die sich das Produkt „Arbeitswelt“ aneigneten.
- Personaler, Soziologen, Organisationsentwickler & Co, die sich das Thema „Marketing“ aneigneten.
- Sonstige, weil zum Thema Personalgewinnung jeder etwas zu sagen hat.
Ich gehörte also zur ersten Kategorie. Und damit ist der Weg klar: Man hilft bei der Erkundung der Arbeitswelt, wird vor allem aber gebucht, um das Ganze in sichtbare Vermarktungsmaßnahmen zu übersetzen. Aus demselben Grund werden zahlreiche der etablierten Dienstleister gebucht. Das meine ich keineswegs geringschätzig, alle unsere Wettbewerber machen sicherlich einen guten Job. Dennoch, nach nunmehr viereinhalb Jahren Selbständigkeit würde ich das als ungünstigen Kompromiss bezeichnen, der immer dann eintritt, wenn Haltung und Handlung divergieren.
Was ist der Maßstab zur Auswahl passender Dienstleister?
Die Frage nach dem passenden Begleiter für ein Employer Branding Projekt sollte sich an der Zielsetzung orientieren. Dafür braucht es ein gerüttelt Maß an Reflexion und Ehrlichkeit. Gerade weil Employer Branding eine Zwitterdisziplin aus Personalmanagement und Branding ist, lädt es zum ausschweifenden Diskurs und zu nebulösen und stets einvernehmlichen Absprachen ein. Wenn alle Beteiligten eifrig mit den Köpfen nicken, wenn es um „Halten, was wir Versprechen“ und „Authentizität“, um „Inside Out“ und „Leben was wir predigen“ geht, aber am liebsten die Kampagne sehen wollen, dann ist das ist brandgefährlich. (Brand-gefährlich könnte man auch sagen. Verzeihung, das konnte ich mir nicht verkneifen…) Weil eine getrübte Sicht auf die interne Bedürfnislage zwar einen inspirierenden Austausch, aber keine zielführenden Maßnahmen zutage fördert. Sie sorgt für den Schein, und vernachlässigt das Sein. Einer unserer wichtigsten Glaubenssätze lautet: Gutes entsteht aus sich selbst heraus.
Das Sonnenblumenmodell hilft, die Bedeutung des Seins, also der Identität zu thematisieren. Und doch endet die Diskussion immer wieder in der Frage nach der richtigen Farbe und der Platzierung des Logos sowie dem Diskurs darüber, dass man das ja jetzt so nicht schreiben könne, das passe einfach nicht zur Brand Tonality.
Wen soll ich nun beauftragen?
Zur Einordnung passender Dienstleister greife ich die gängigsten Zielsetzungen auf, die mir immer wieder in Erstgesprächen und bei Projektanfragen begegnen:
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- Fachkräftemangel: „Es wird immer schwerer, geeignetes Personal zu finden. Um diesem Fachkräftemangel zu begegnen, wollen wir in unsere Arbeitgebermarke investieren.
- Demografie: „Unsere Fluktuation ist zu hoch. Zudem scheiden in den kommenden Jahren etwa 15% unserer Mitarbeitenden altersbedingt aus. Eine Employer Brand soll uns frühzeitig als attraktiven Arbeitgeber für den Nachwuchs etablieren.“
- Bekanntheit: „Wir haben so viel zu bieten, es weiß nur niemand. Um sichtbar zu werden, wollen wir eine Employer Brand aufbauen.“
- Wandel: „Digitalisierung und Flexibilität bestimmen unsere neue Strategie. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, verändern wir Produkte, Prozesse und Arbeitsstrukturen. Eine Neuausrichtung unserer Employer Brand soll die passenden Fachkräfte anlocken.“
All die genannten Gründe sind erfolgsrelevant. Den entsprechenden Herausforderungen begegnen die meisten Unternehmen mit der altbekannten Mischung aus Employer und Branding. Dabei werden zwei Fragen unweigerlich in einen Topf geworfen:
Was macht uns attraktiv?
Und wie können wir das transportieren?
Falscher Ansatz. Mit dem Blick auf wahrnehmbare Attraktivität im Markt verweigern sich die Entscheider der Relevanz internen Brandings. Und wenn wir schon beim Branding klauen, dann betrachten wir uns mal den Prozess klassischen Brandings: Dort beschäftigen sich entsprechende Abteilungen intensiv mit der eigenen Substanz, mal mit, mal ohne Zuhilfenahme entsprechend spezialisierter Dienstleister. Gut so, denn es geht um Identität, oder um es mit Simon Sinek zu sagen, um das WHY. Also die Frage „Warum tun wir, was wir tun?“.
Dem stimmen auch fleißig alle Personalverantwortlichen kopfnickend zu. Und doch scheint mir, dass viele von ihnen der besonderen Bedeutung in unserem speziellen Kontext über das Lippenbekenntnis hinaus keine weiterführende Aufmerksamkeit schenken. Dabei geht es um nicht weniger als die Leistungsfähigkeit der Organisation. Es geht um die Motivation, die aus Mitarbeitenden eigenverantwortliche Erfolgsträger oder sogar emotional gebundene Überzeugungstäter macht, aus Produkten Erlebnisse und aus Unternehmen Marken, die mit Werten verknüpft werden. Jeff Bezos hat es einmal so beschrieben:
Your brand is what other people say about you, when you’re not in the room.
Noch stärker fokussiert könnte man sagen, was Menschen bzgl. meiner Persönlichkeit fühlen, ohne dass ich mich erkläre. Dieser Gedanke führt zum Kern des Ganzen: Der Persönlichkeit. Und damit zur fünften Zielsetzung, der aus meiner Sicht entscheidenden:
- Kultur: „Wir wollen ein attraktiver Arbeitgeber sein. Wir haben verstanden, dass Persönlichkeit und Identifikation die Grundlage für Erfolg sind. Unsere Employer Brand soll das interne Erlebnis „Arbeitswelt“ erfassen, spiegeln und weiter entwickeln.“
Insbesondere im Rahmen von Zukäufen und Umstrukturierungen ist das Employer Branding als identitätsstiftende, strategische Maßnahme von zentraler Bedeutung. Darüber reden können Viele, sehr intensiv, sehr gut. Danach handeln tun nach wie vor nur Wenige. Und so sind auch in unseren Projekten die Interna regelmäßig fester Bestandteil des Diskurses. Der Marktauftritt aber bleibt das Maß aller Dinge. Jede der 5 Zielsetzungen ist also richtig. Aber nicht jede erfordert Employer Branding als Lösungsansatz. Hier also ein kleiner Ratgeber, welche Dienstleister wann Wirkung entfalten können:
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- Fachkräftemangel:
Um Fachkräfte an Bord zu holen, sind Recruitingspezialisten die ausgewiesenen Experten. Sie kennen sich mit Zielgruppen, Kanälen und Maßnahmen aus, unterstützen beim Sourcing, helfen bei der Auswahl eines Bewerbermanagementsystems und der Überarbeitung von Einstellungsprozessen. - Demografie:
Um der Überalterung der Belegschaft zu entgehen, sollte eine mittel- bis langfristige Strategie vorliegen, klar. Dazu gehören Nachfolgeplanung, Nachwuchsförderung und ja, auch Personalmarketing. Der Umgang mit der demografischen Entwicklung ist eine Aufgabe, die bis ins Top Management hinein reicht. Mit der Brand an sich hat das nicht zwingend etwas zu tun. Hier können erfahrene Personalentwickler/Personalmanager sowie Organisationsentwickler und bei der Operationalisierung wiederum Recruitingexperten weiterhelfen. - Bekanntheit:
Hier kommen wir dem erwünschten Branding schon näher. Doch ist die Herstellung von Bekanntheit zunächst ein Marketingziel. Das hat also maßgeblich etwas mit Personalmarketing zu tun. Eine Frage für gute Kreativ- oder Kommunikationsagenturen, die sich auf die Übersetzung eines aussagekräftigen (!) Briefings spezialisiert haben. Wenn bspw. die Bundeswehr oder die Bahn mit ihren Kampagnen als Beispiel guten Employer Brandings herhalten, dann komme ich ins Grübeln. Das ist und bleibt gutes Marketing und kreative Personalwerbung.
Bezogen auf ausgewählte Maßnahmen gibt es zudem zahlreiche Spezialanbieter im Bereich Foto und Film, Onlinemarketing, SEO/SEM etc. Darunter auch solche, die sich als Employer Branding Spezialisten positionieren. Daher lohnt der genaue Blick auf das Leistungsportfolio und die dahinter liegende Expertise. - Wandel:
Meist sind damit Digitalisierung und ein durch Start Ups und durch den zunehmenden Wettbewerb etwa aus dem asiatischen Raum erhöhter Grad an Dynamik und Flexibilität gemeint. Wandel gestalten ja – aber braucht es dafür immer gleich den Bruch mit der Tradition und das berühmte frische Blut? Was ist erhaltenswert, was muss verändert werden? Welche Prozesse sind betroffen? Wie gehen wir mit Ängsten und Verweigerung um? Und wie bereiten wir uns und andere auf das vor, was vor uns liegt?
Bei der Beantwortung dieser Fragen helfen Organisations- oder Personalentwickler, Transformationsexperten, Agile Coaches & Co. Und für die anzuwerbenden Talente mit neuen, bisher nicht vorhandenen Fähigkeiten stehen dann wieder die Recruitingspezialisten parat.
Im Kontext der kulturellen Veränderung kann internes Employer Branding ein zentraler Baustein sein. Hier können Employer Branding Spezialisten Wirkung entfalten, indem sie die mit dem Wandel verbundene Veränderung nutzen, um mit den Mitarbeitenden und Führungskräften identitätsstiftend zu arbeiten. - Kultur:
Die Kulturfrage ist eine zutiefst strategische und emotionale. Es geht um das WIR, um den Platz darin für das ICH und um die Frage, wie WIR miteinander umgehen, um strategische Ziele zu erreichen und im Wettbewerb zu bestehen. Dabei geht es um das Produkt „Arbeit“ im eigenen unternehmerischen Kontext. Die Erkundung der Identität sowie die Verknüpfung einer unternehmerischen Strategie mit menschlichen Bedürfnissen, das ist Employer Branding par excellence. Eben weil es das Innenverhältnis fokussiert, das Sein und nicht den Schein. Dieses Selbstbewusstsein in Verbindung mit einem eindeutigem Kommunikationsziel sowie einer klaren Zielgruppenbeschreibung fokussiert zu Papier gebracht ist das Briefing für Kreative.
- Fachkräftemangel:
Auftragsklärung als Einstieg
Wir sollten also aufhören, Dienstleister nach dem Gemischtwarenladenprinzip einzukaufen. Ich halte eine klare Trennung von Recruiting-, Kommunikations- und Brandingaufgaben, eine klare Definition von Zielen und eine entsprechend fokussierte Auswahl passender Dienstleister für notwendig, um die eigene Organisation auf ihrem Weg voran zu bringen. Aus diesem Grund steht und fällt der Erfolg eines Employer Branding Projektes mit der Auftragsklärung.
Um noch einmal das Sonnenblumenmodell zu bemühen geht es um die Frage, ob das Projekt im Bereich des Inhalts (Vermarktung, Kommunikation), der Prozesse (Arbeit, Struktur) oder des Kontextes (Kultur, Identität) angesiedelt ist.
Und was mich nun angeht, so kann ich in bunten Bildchen und markigen Sprüchen denken. Sehr gut und sehr gern. Ich bin aber der Falsche, wenn die pfiffige Kampagne mit maximaler Awareness auf dem Weg zum nächsten Award im Fokus steht. Weil ich nach 20 Berufsjahren und 4,5 Jahren eigensinniger Selbständigkeit für die Politur des Arbeitgeberimages zu sperrig bin und weil ich weiß, dass aus der Vermischung interner Lippenbekenntnisse und extern ausgerichteter Zielsetzungen keine langfristig wirksamen Ergebnisse erwachsen.
Die größte Wirkung entfaltet Employer Branding im Innenverhältnis, wenn es Selbstbewusstsein schafft und die Verbindung herstellt zwischen Menschen, Strategien und den damit verbundenen Perspektiven. Die externe Kommunikation, das externe Branding wenn wir so wollen, ist letztlich ein Effekt der internen Arbeit. Weil diese intrinsisch motivierten Menschen Markenerlebnisse möglich machen, indem sie Stolz entwickeln, als Botschafter auftreten und weil sich aus dem intern Erlebten die Geschichten für externe Storytelling ergeben.
Oder wie seht ihr das?