Junge Generationen verbringen einen Großteil ihrer Zeit damit, etwas über sich selbst zu erzählen. Ihre eigene Erlebenswelt. Ihre eigenen Vorlieben und Geschmäcker. Ihre eigenen Empfehlungen. Früher war das anders. Da hieß es „erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Das heißt erst hat man etwas geschaffen, anschließend hat man darüber berichtet. Heute entsteht alles in Echtzeit.
Befeuert wird das sich wandelnde Kommunikationsverhalten durch den technologischen Fortschritt. Wo man immer und jederzeit Feedback einholen kann, entsteht ein Sog: Die Welt sieht mich. Oder zumindest der Teil der Welt, der mit mir vernetzt ist. Sie kommentiert mein Verhalten. Sie schätzt, was ich tue. Oder missbilligt es. In jedem Fall schenkt sie mir ihre Aufmerksamkeit.
Ich poste, also bin ich. Und das völlig unabhängig davon, ob ich tatsächlich etwas zu sagen, oder nicht.
Mir erscheint es oftmals, als redeten junge Menschen vornehmlich über sich und ihre Wahrnehmung der Welt. Und das oftmals, lange bevor sie wirklich etwas ausprobiert oder zu Ende gebracht haben. Das heißt, wir holen Menschen in Unternehmen, die über alles Mögliche berichten können und zu allem eine Meinung haben. Die aber oftmals nur auf einen relativ eng gesteckten Erfahrungshorizont zurückgreifen können. Ich bin mir nicht sicher, was ich von dieser Mischung halten soll. Auf der einen Seite öffnet sie uns die Augen für spontane, unvoreingenommene Sichtweisen. Animiert uns zur Teilnahme am sozial vernetzten Dialog. Was auf der anderen Seite dazu führt, dass sich das Marketing sehr stark an diesen jungen Menschen orientiert. Und im Grunde genommen deren Spiel mitspielt, anstatt eigene Akzente zu setzen.
Ich weiß, das klingt arrogant. Und dann auch noch aus der Feder eines Beraters. Wie kann ich nur so überheblich über die junge Generation sprechen. Doch möchte ich damit gar nicht urteilen. Es geht mir vielmehr um die Diskrepanz zwischen Meinungsbild und Erfahrungsschatz.
Denn das, was die jungen Menschen heutzutage mit Hilfe der sozialen Netzwerke, der zur Verfügung stehenden Technologie, ihrer Apps und künstlichen Intelligenzen anzustellen in der Lage sind, ist schon beeindruckend. Vor allem steckt oft viel Engagement in den Aktivitäten der Jugend. Das führt spontan zu tollen Ideen.
Ich bin davon überzeugt, dass Gutes aus sich selbst heraus entsteht. Das passiert jedoch selten im Moment einer spontanen Eingebung sondern meist im Zuge eines längeren Prozesses aus Handlung und Reflexion.
Ich beobachte mit zunehmender Skepsis, wie Marketingstrategen versuchen, das Potenzial vermeintlich modernen und oft unreflektierten Kommunikationsverhaltens für sich zu nutzen und zu vereinnahmen. Sein, wo die Zielgruppe ist. Ihre Kanäle nutzen. Ihren Habitus, gar ihre Sprache adaptieren? Oder zumindest sich der jungen Menschen selbst bedienen, Stichwort Influencer. Im Grunde ist es doch ähnlich wie mit den großen Geschichten von aufstrebenden Unternehmen, die mit tollen Ideen und viel Herzblut in Kleingaragen angefangen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufgeschlagen sind. Und dann ganz groß wurden. Nur, dass diese Geschichten von Produktinnovationen sprechen, vom Herzblut für eine Idee, eine Verbesserung des Status Quo. Bill Gates, der wohl größte Influencer von Microsoft. Mark Zuckerberg, Jeff Bezos – um mal nicht Steve Jobs zu nennen. Wohingegen sich die Innovationskraft der heutigen Influencer all zu oft in der Nutzung aktueller Technologien zur Kommentierung aktueller Begebenheiten erschöpft.
So gibt es auch heute Influencer mit hunderttausenden Followern, die tatsächlich Einfluss auf das Meinungsbild junger Menschen haben können. Ausgehend vom derzeit in Deutschland prominentesten Beispiel Rezo und seiner „Zerstörung der CDU“ entspinnt der Professor für Medieninnovation und digitalen Journalismus an der Technischen Hochschule Nürnberg, Markus Kaiser, seinen Gedanken zur Überschätzung der Vermarktungspotenziale mittels Influencer. „Ich will damit nicht sagen, dass Unternehmen nicht auf Influencer setzen sollen und dass Produktpräsentationen durch Influencer zum Beispiel auf YouTube oder Instagram wirkungslos sind. Sie sollten sich aber zumindest fragen, warum niemand aus den eigenen Reihen diese Rolle übernimmt – oder übernehmen kann.“, schreibt Kaiser auf seinem Blog.
Genau. Mir fehlt das Erfahrungsgerüst älterer Menschen als Gegengewicht. Eine echte weil reflektierte Identifikation mit einer Unternehmung oder einem Produkt, wie sie eben Unternehmer oder deren Mitarbeitende in sich tragen. Stattdessen setzt man auf Reichweite über eingekaufte Meinung. Welche Ausmaße das annehmen kann, schreibt Gründerszene.de. Demnach verbucht bibisbeautypalace die meisten Follower und den höchsten Medienwert pro Post. Schließlich sei die 24-Jährige als Influencerin mittlerweile auch außerhalb sozialer Medien bundesweit bekannt. „Hält Bibi eine Sonnenbrille vor die Kamera, sehen das 5,4 Millionen Instagram-Abonnenten – eine Reichweite, für die Unternehmen rund 22.500 Euro in die Hand nehmen müssten.“, so Gründerszene.de.
Das Ausrichten der Vermarktungsaktivitäten auf junge, unerfahrene Menschen erscheint mir nicht immer zielführend. Besonnenheit, Weitblick und Erfahrungswissen sind die Assets eines interessanten Unternehmens. Altersweisheit? Vielleicht. Und in Kombination mit modernen Tools sicherlich eine spannende Alternative. Junge Menschen aber als Werbeträger zu nutzen, empfinde ich als Missbrauch. Eine interessante Auseinandersetzung mit der Generation der Millenials gibt es von Simon Sinek, Kulturanthropologe und Managementberater, der in einer Talkshow seine Sichtweise auf die junge Zielgruppe darlegt:
Anstatt nun die jungen Wilden als Werbeträger zu missbrauchen oder ihr Kommunikationsverhalten zu adaptieren, sollten wir auf den Diskurs mit den jungen Menschen setzen. Auf die Symbiose aus junger Technologieaffinität und Altersweisheit.
Wenn ich mir anschaue, wie alternde Organisationsformen das Kommunikationsverhalten junger Zielgruppen nachahmen, wird mir schwummerig. Wo ist das Selbstbewusstsein der starken Unternehmen, die Menschen in ihrem Arbeitsleben begleiten, sie unterstützen und sogar weiterbringen? Mitarbeitergewinnung und -bindung ist immer noch ein Deal zwischen Generationen und keine werbestrategische Übereinkunft.
Oder wie seht ihr das?