Youtube-Videos, Instagram-Storys, TikTok-Challenges, Chatbot-Chatterei – alles wird immer interaktiver, immer fancier, immer schneller und immer state-of-the-artiger. Und damit auch zielgruppengerechter?
Es war im September 2017, als ich von den lieben Kollegen der Presseagentur Kauz & Schrulle gefragt wurde, ob ich nicht Lust hätte, über das interaktive Recruitingvideo „Virtual Beginners“ von EOS, dem Finanzdienstleister der Otto Group, zu berichten. Meine Videobeiträge mit den Machern und Protagonisten vor und hinter der Kamera hatte ich seinerzeit hier gesammelt. Was mich aber neben der frischen Herangehensweise an das Thema Video nachhaltiger beschäftigt hat, war die kleine Schachtel mit Smarties (für die Generationen nach mir: M&M’s) die mir seinerzeit Sylke Sergel und Malin Augustin mitgegeben hatten. Darauf stand geschrieben: „Der beste Mix ist bunt. So wie wir bei EOS.“ Einer von ich glaube vier Unternehmenswerten.
Dieses und andere Give Aways liegen seither in meinem Büro und ich erinnere mich immer wieder an die damit verbundenen Ereignisse. Wenn wir menschmarker von Begegnungsqualität sprechen, dann meinen wir Begegnungen, die echt, lebendig und persönlich sind. So wie damals bei EOS. Und auch, wenn all die digitalen Helferlein manches Mal ein recht nahbares und persönliches Gefühl vermitteln, irgendetwas fehlt.
Gedankenstoß: Arbeitgebermarken kommunizieren unsensibel, indem sie technologischer Erreichbarkeit höhere Priorität einräumen, als sensorischen Erlebnissen.
Welchen Einfluss mitunter singuläre persönliche Erlebnisse auf die Markenwahrnehmung haben, zeigt mir neben dem Beispiel EOS auch immer wieder das Erlebnis „Paketzustellung“. Ein einziger Besuch eines freundlichen, engagierten Zustellers nimmt mich sofort für das dahinter stehende Unternehmen ein. Ein unleserlicher Zettel mit fragwürdigen Angaben im Briefkasten oder brummige Aussagen bei der Zustellung bewirken entsprechend das Gegenteil. Wie bei der Geschichte dieses Zettels, die ich auf Facebook geteilt habe:

Das mögen Einzelfälle sein, der Bote hat es sicher gut gemeint und ich möchte auch nicht die gesamte Unternehmung in Miskredit bringen, aber geht es um Markenwahrnehmung, zählt eben jeder Eindruck. Je sensorischer dieser ausfällt, desto intensiver wird er erlebt. Und erinnert. Das Magazin T3N hat diesbezüglich einige interessante Angaben zur Erinnerungsleistung unter Bezug auf Hubspot ins Netz gestellt: demnach erinnern Menschen etwa 10% der auditiv wahrgenommenen Informationen, etwa 20% gelesener Informationen und bis zu 80% dessen, was sie sehen und tun. Insbesondere die Intensität dessen, was wir tun, deutet auf die Relevanz fühlbarer, multisensorischer Begegnungen und Interaktionen hin.
Das stützt auch die Neurowissenschaft. Sie belegt, dass für das Speichern von Informationen neuronale Netze aktiviert werden. Das heißt, es gibt nicht die eine Stelle im Gehirn, die für das Speichern und den Abruf einer Information zuständig ist, sondern ein Geflecht zwischen unterschiedlichen Bereichen des menschlichen Gehirns. Unsere Erinnerungen an Ereignisse sind insbesondere in Zusammenhang mit den damit verbundenen Geräuschen, Gerüchen und Gefühlen eine hoch emotionale Angelegenheit. Laut des Blogs Gedankenwelt.de bedeutet das, „dass wir uns an Bilder, Wort und auch an Gerüche, Geschmäcker und Gefühle erinnern können. Man könnte sagen, dass das Erinnerungsvermögen des Menschen an seine Emotionen gekoppelt ist: Informationen und Ereignisse, an die wir uns erinnern, sind selten objektiv. Das menschliche Gedächtnis ist kreativ und lässt daher Teile dieser Erinnerungen verblassen und fügt neue hinzu. Das geschieht abhängig von den Gefühlen, die mit dem jeweiligen Moment zusammenhängen.“
Noch prägnanter formulieren es die Autoren auf dasgehirn.info. Das Projekt der Hertie-Stiftung, der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft e.V. und dem Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe hat sich zum Ziel gesetzt, die Welt neurowissenschaftlicher Erkenntnisse anschaulich und nachvollziehbar zugänglich zu machen. Dort heißt es kurz zusammengefasst: „Ereignisse, die mit starkem emotionalen Empfinden verknüpft sind, prägen sich besonders tief ins Gedächtnis ein. Dies liegt unter anderem daran, dass zwischen der für die emotionale Bewertung von Reizen verantwortlichen Amygdala und dem für die Gedächtnisbildung zentralen Hippocampus enge Verbindungen bestehen.“
Kommen wir von dort zurück zu meinen Smarties: Erhalten habe ich dieses kleine Give Away in einem Moment persönlicher Begegnung mit den Kolleginnen von EOS. Die Atmosphäre war gelöst, das Wetter schön, ich hatte Lust auf und Spaß mit den Interviews. In diesem Kontext habe ich die Give Aways erhalten, die textlich mit den Werten des Unternehmens gekoppelt sind. Bingo. Das haptische Erlebnis der Smartiespackung, die seit diesem Tag in meinem Büro liegt, ruft das komplette Set sensorischer Einflussfaktoren ab: Sonne, Sympathie, Spaß. Also Emotion pur. Und dient damit als Markenanker in meiner Arbeitsumgebung. Eine solche Komplexität des Moments lässt sich technologisch und virtuell nicht nachbilden. Es braucht das multisensorische Erlebnis aus visuellen Eindrücken vor Ort und dem Verhalten insbesondere im gemeinsamen Gespräch – sowie der Haptik einer kleinen Smartiespackung.
Darüber hinaus hatte ich bisher mit dem Unternehmen und der Marke EOS keine weiteren Berührungspunkte. Und dennoch trage ich eine bleibende positive Erinnerung in mir. Ein schönes Beispiel, wie wichtig das persönliche Erlebnis gegenüber der rein medialen Verbreitung von Botschaften ist. Und dafür, wie eng Personalmarketing und Marketing zusammen hängen.
Vorschlag: Investiert mehr in sensorisches Personalmarketing, denn in technologische Allgegenwart.
Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass eine gute persönliche Begegnung erinnerungswürdiger ist, als mehrere mediale Kontakte. Das bezeugen auch die Aussagen nahezu aller Ansprechpartner, die ich in den vergangenen 15 Jahren erleben durfte: Wenn wir die Bewerber erst einmal am Tisch haben, dann fällt es uns viel leichter, sie für uns zu gewinnen.
Was diese persönliche Präsenz bewirkt, zeigen auch gute Videos. So hat die Baloise schon allein deshalb ein riesen Stein bei mir im Brett, weil ich im Zuge unseres Employer Branding Projektes den Videomitschnitt einer Betriebsversammlung zur neuen Unternehmensstrategie anschauen durfte. Darin ist mir der neue CEO Gert De Winter ausgesprochen sympathisch aufgefallen – und in Erinnerung geblieben. Ein Unternehmenslenker, der die Menschen hinter sich zu versammeln mag, weil er ihre Herzen erreicht. Wie nahbar er als Person ist, führte das ausgesprochen umtriebige Social Media Team der Baloise kürzlich auf instagram vor:

Kaum auszudenken, was passieren würde, würde man Gert De Winter auf einem Recruiting Event persönlich treffen. Es erscheint also sinnvoll, die persönliche Begegnung und auch die Multisensorik wieder stärker in den Fokus zu rücken. Insbesondere in Zeiten, in denen Technologie uns bei vielem unterstützen kann, aber bei Weitem nicht die nötige Sympathie aufzubauen vermag, die laut Neurologie notwendig ist, um jemanden auch als kompetent – und damit als ernsthaft zu erwägenden Arbeitgeber – einzustufen.
Spinne ich den Gedanken weiter, so fallen mir zwangsläufig Recruiting Events ein. Es kommt nicht von ungefähr, dass auf Messeständen die kleinen Kaffeebars mit Siebträger, Barista, Corissant und angenehmem Ambiente so viel Anklang finden. Es duftet nach frisch gemahlenen Bohnen, das Croissant hat eine schmeichelhafte Butternote, das Licht ist angenehm, der Barista schenkt das eine oder andere Lächeln, der Stress fällt ab und schon ist der perfekte Moment für eine herrliche Erinnerung entstanden. Intensiv aufgrund der multisensorischen Wahrnehmung. Nur eines fehlt noch: Die Verbindung mit dem Initiator des Moments. Also bedruckte Kaffeebecher, bunte praktische Taschen, mit charmanten Slogans versehene Süßigkeiten und Werbegeschenke… Die Smarties mit „dem besten Mix, der bunt ist, so wie EOS“ – ihr erinnert euch?! Nicht auszudenken, wie viel positive Erinnerung mit einem Arbeitgeber verbunden würde, der mitten im Messetumult nicht nur loungige Sessel aufstellt, sondern auf sonstigen Ausstellungsfirlefanz ganz und gar verzichtet.
Nur die Messebesucher, die Mitarbeiter und ein Raum für Gespräche und Austausch. Schöne Idee, doch die Realität am Beispiel Einzelhandel sieht anders aus: In unserem ersten Jahr als menschmarker durften wir für einen großen Discounter arbeiten. Erklärtes Ziel des Personalmarketings war die von allen erhoffte Wahrnehmung als Top Arbeitgeber einerseits sowie die höhere Qualität der Bewerber – denn rein quantitativ sah es gut aus. Für eine Veranstaltung wie den Absolventenkongress war unsere Schlussfolgerung klar: Quantität runter, Qualität rauf. Ein wertvolles Erlebnis in der persönlichen Begegnung war der gedankliche Gegenentwurf zum sonst üblichen Protz. Die Ausgestaltung der Messe war nicht unsere Aufgabe und so steuerten wir unsere Perspektive bei und durften später im Jahr auf der Veranstaltung Zeuge einer wahren Materialschlacht werden. Darunter viele tolle Inszenierungen auf dem Stand, keine Frage. Aber: Eine klare Botschaft? Fehlanzeige, man wusste nicht mehr, wo einem der Kopf stand. Viel hilft eben nicht immer viel, schon gar nicht in Fragen der Qualität.
Und was ist nun mit den Give Aways? In Zeiten der Apps, der 3D-Drucker und virtuellen Welten wirken sie analog-antiquiert, als unnötige Ausgabe verhöhnt, schließlich wollen die Bewerber einen Job von uns, weshalb sollen wir ihnen noch etwas schenken. Doch was allein die Haptik eines Produktes bedeuten kann, erläutert Karsten Kilian, Professor für Internationales Management und ABWL mit Fokus Marketing an der Hochschule Würzburg: „So sind beispielsweise neun von zehn Konsumenten in der Lage, Duschgels allein durch blindes Betasten wiederzuerkennen.“ (Nachzulesen auf springerpprofessional.de)
Give Aways also – der neue Renner im Zeitalter inflationärer digitaler Erinnerungen?

Mein Kompagnon Oliver und ich haben uns mal auf einer gemeinsamen Autofahrt den Spaß eines 15minütigen Brainstormings gemacht. Nebenstehend eine kleine Sammlung von Give Aways, die die Welt nicht allzu ernst nehmen sollte. Hat man aber den geistigen Ballast erst einmal abgeworfen, in welche Höhen sinnstiftender Mitgebsel im Kontext der Arbeitgebermarke und ihrer Attraktivitätsfaktoren mag man wohl aufsteigen? Wir alle entdecken das Kind in uns, wenn es Geschenke gibt. USB Sticks, Ladekabel, kleine Gadgets für Smartphones oder im Rahmen eines „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“-Programms gar frei verfügbare Zeit. Geschenke vermitteln Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Je praktischer, schöner oder wertiger, desto intensiver ihr Gebrauch und die damit wachsende Verbindung zum Absender.

Dass die Arbeit mit körperlichen Elementen die Sinne aktiviert, die Wahrnehmung schärft und der Erinnerung auf die Sprünge hilft, erleben wir auch regelmäßig beim Einsatz von Plakaten, Bierdeckeln oder Klappkarten anstelle von Powerpoints. In diesem Sinne kann ich nur alle Employer Brander und Personalmarketer dringend ermuntern, über den Invest in multisensorisch wahrnehmbare Kontakte nachzudenken.
Welch schöneres Kompliment kann es geben als „Ein Arbeitgeber zum Anfassen“ zu sein? Jemand, der nahbar, sympathisch und kompetent auftritt, den man auf seiner Mission gerne unterstützen möchte. Das wäre erinnerungswürdiges Employer Branding par excellence.
Oder wie sehen Sie das?
PS, Notiz an mich selbst: bei der Beschreibung einer Brand öfter mal versuchen, sinnlich zu denken. Wie fühlt sie sich an? Wonach riecht sie? Wonach klingt sie? Wie schmeckt sie? Dabei könnten ganz erfrischende Texte heraus purzeln…